Pulp – More
Pulp releasen nach 24 Jahren wieder eine LP. Ende letzten Jahres in nur drei Wochen eingespielt, vereint „More“ all das, was Sheffields Indie-Artpopper auszeichnet: große Gefühle, ausgedrückt mit großartigen Lyrics und verpackt in riesengroße Melodien.
„This Is What We Do For An Encore“ prangte in leuchtenden Lettern auf den Bühnen-Screens vor jeder Show ihrer zweiten Reunion-Tour, die Pulp im Mai 2023 starteten (hier geht’s zu unserem Review ihres Amsterdam-Auftritts). Nun also gibt es auf elf bewegenden Tracks die von ihren Fans lang ersehnte Studio-Zugabe der im Jahr 1978 gegründeten Band.
Gewidmet ist der Longplayer ihrem vor gut zwei Jahren verstorbenen Bassisten Steve Mackey. „Ich versuche noch zu verstehen, warum genau wir beschlossen, dass es die richtige Idee sei, ein Album zu machen“, so Pulp-Frontmann Jarvis Cocker anlässlich der Platten-Promo. „Es hatte zum Teil sicher mit Steves Tod zu tun. Wenn Leute, die dir so nahestehen, gehen, dann wird dir klar, dass du selbst immer noch am Leben bist. Und dass du weiter die Möglichkeit hast, etwas zu erschaffen.“

Foto: Tom Jackson
Erwachsene Comeback-Kids
Dafür rief Sänger Cocker neben seinen Bandmates Candida Doyle (Keyboards), Nick Banks (Schlagzeug) und Gitarrist Mark Webber mit Emma Smith, Andrew McKinney, Adam Betts und Jason Buckle sowie Strings-Arrangeur Richard Jones weitere musikalische Mitstreitende hinzu, die ihm dabei behilflich waren.
Gemeinsam arbeiteten sie an neuen Songs – einige zuvor unvollendet, irgendwann aufgegeben oder für andere Gelegenheiten geschrieben, andere gar brandneu. Und wandten sich alsdann an James Ford (unter anderen Arctic Monkeys, Depeche Mode, Pet Shop Boys, Fontaines D.C.), um die Stücke von seiner vorzüglichen klanglichen Handschrift formvollendet produzieren zu lassen.
Schonungslose Sozialdramen
Auch auf der neuen Pulp-Platte erzählen die so entstandenen Lieder in aller Regel schonungslos von Sozialdramen, geschrieben und aufgeführt von und für die Unverstandenen und Ausgegrenzten. Sie handeln von Verlangen, Liebe und Leidenschaft, Ängsten, Scheitern und Verlust – und einem nun deutlich ausgeprägteren Verständnis für den im Leben zugewiesenen Platz.
Dabei versteht es Ford, „More“ wie eine Zeitreise durch Pulps kreativen Werdegang klingen zu lassen und den Bogen von den Anfangstagen der Gruppe als klassische John-Peel-Session-Indieband über ihren On-Top-Of-Their-Game-Status auf dem Gipfel der Britpop-Mania rund um ihr 1995er-Meisterwerk „Different Class“ bis ins Hier und Jetzt zu erwachsen gewordenen, gereiften Comeback-Kids zu schlagen.

Foto: Tom Jackson
Guter Schuss britische Ironie
So gibt es in vielen Liedern die für Vocalist Jarvis Cocker so charakteristischen Spoken-Words-Passagen zu hören, die Band-typischen berührenden Streicher-Arrangements und natürlich die übergroßen Pulp-Popmelodien, die einen emotional umarmen und dann einfach nicht mehr loslassen wollen – all das regelmäßig textlich garniert mit einem guten Schuss britischer Ironie. Und viele davon bereits vorab Platten-erprobt, weil auf der jüngsten Comeback-Tournee vor Live-Publikum performt.
Standouts des Longplayers sind das nachdenkliche „Grown Ups“, das entzückende „Farmer’s Market“, das melancholische „Background Noise“ und der Indie-Dancefloor-Banger „Got To Have Love“, letzterer eine ultimative künstlerische Hommage an Pulps Heimatstadt Sheffield, aus der eine Menge weiterer für die Indiemusic-Szene relevanten Bands stammen, wie etwa Cabaret Voltaire und The Human League.
Einladung ans Lebendigsein
In vielerlei Hinsicht mag „More“ ein Album über das Verrinnen der Zeit geworden sein – mehr als alles andere aber ist die Schallplatte wohl eine Einladung ans Lebendigsein sowie dazu, das Leben einfach beim Schlawittchen zu packen und im Moment zu bleiben. „Ich denke, Teil des Erwachsenwerdens ist es, sich zu kontrollieren, ohne sich dabei selbst zu erdrücken“, sagt Songschreiber Cocker, der mit „Jarvis‘ Sunday Service“ eine beliebte BBC-Radio-Musikshow moderierte und vor drei Jahren mit „Good Pop, Bad Pop“ so etwas wie seine Memoiren in Buchform veröffentlichte.
„I Know It’s All About The Journey, Not The Final Destination“, besingt Pulp-Mastermind Jarvis Cocker im neuen Song „Grown Ups“ vortrefflich die Reise des Lebens. In welchem es darüber hinaus ja allem voran auch immer darum geht, auf welche Menschen man auf ebendieser trifft, die einen auf dem Weg begleiten. Ich persönlich hoffe jedenfalls, Pulp tun dies samt ihres musikalischen Schaffens auf meinem noch möglichst lange.
Künstler: Pulp
Album: More
VÖ: 06.06.2025
Label: Rough Trade Records