PULP – Amsterdam, AFAS Live (24.05.2024)

„This is what we do for an Encore“, prangt in leuchtenden Riesenlettern via Beamerprojektion auf dem noch geschlossenen Bühnenvorhang des Amsterdamer AFAS Live (vormals Heineken Music Hall). Die Hauslichter sind vor wenigen Augenblicken erloschen und das Intro des Konzertopeners „I Spy“ ertönt in der nahezu ausverkauften holländischen Halle.

Eine gefühlte halbe Ewigkeit hat die Hauptstadt unseres sympathischen Nachbarlands auf diese Zugabe warten müssen – satte 29 Jahre, um genau zu sein. Doch die Zeit musikalischen Darbens hat sich gelohnt: Die im Jahr 1978 vom damals 15-jährigen Bandleader und Sänger Jarvis Cocker gegründeten Indiepopper Pulp aus dem nordenglischen Sheffield haben in den vergangenen drei Dekaden nichts von ihrer Bühnenpräsenz und Energie eingebüßt.

Schon beim zweiten Song „Disco 2000“ aus ihrem 1995er-Meisterwerk „Different Class“ steht die Location kopf: 4.000 Konzertbesucherinnen und -besucher eskalieren zum ersten und nicht letzten Mal an diesem Abend. Aus ganz Europa und sogar Lateinamerika sind sie in die Niederlande gereist, um Pulps ersten Gig nach fast halbjähriger Comeback-Konzertpause und die einzige europäische Nicht-Festival-Show des Sommers zu sehen. „Mis-Shapes“ vom selben Longplayer folgt gleich darauf: „We don’t look the same as you and we don’t do the Things you do.“

Pulp singen seit jeher für die Unverstandenen und Ausgegrenzten. Erstaunlich viele junge Menschen stehen neben mir in den ersten Reihen vor der Bühne, denen die Songs und ihre Inhalte genauso so viel zu bedeuten scheinen wie mir, seitdem ich die Band als Teenager entdeckte – was mich berührt und freut.

Pulps Heimat Sheffield, eine ehemalige Stahlarbeiter-Stadt, aus der auch viele andere für die Indiemusic-Szene einflussreichen Bands stammen wie Cabaret Voltaire, The Human League und die Arctic Monkeys, ist gleichermaßen Inspiration und Kulisse ihrer meisten Lieder. Häufig schonungslose Sozialdramen, die gespickt sind mit beißenden gesellschaftskritischen Lyrics, nicht selten garniert mit einem guten Schuss britischer Ironie.

Die Setlist des Abends ist geradezu perfekt: Eine kluge Mischung aus Songs der Alben, die seit Beginn der Neunziger Jahre erschienen sind. Pulp werden dabei on Stage von einer zehn Personen-starken Streichersektion begleitet, die allem voran einen cineastischen Track wie „This Is Hardcore“ vom gleichnamigen Album mit schier unbändiger Kraft in seiner ganzen Schönheit strahlen lässt. Das emotionale „Something Changed“ widmet der ehemalige Kunst- und Filmstudent des Londoner St. Martin‘s College Cocker dem langjährigen Bandbassisten Steve Mackey, der 2023 viel zu früh verstarb.

Neue Songs, an denen Pulp ebenfalls seit ihrem abermaligen Comeback im vergangenen Jahr (dem zweiten nach 2011) arbeiten, gibt es zwar in Amsterdam nicht zu hören, dafür aber ein angenehm überraschendes „Like A Friend“ als erste Zugabe sowie das hinreißende „Underwear“. Und natürlich auch den triumphalen Überhit „Common People“ aus Britpop-Tagen als Closer des Zugabenblocks.

„You were brilliant, thank you,“ bedankt sich Jarvis Cocker bei den frenetischen Fans, als er mit Keyboarderin Candida Doyle, Drummer Nick Banks, Gitarrist Mark Webber sowie den anderen Musikerinnen und Musikern seiner Live-Band die Stage verlässt. Sofort flackern die hellen Hauslichter der Konzerthalle auf und der Bühnenvorhang schließt sich final.

Mein Erstgeborener, der mich als einer der glühendsten Pulp-Verehrer dieses Planeten an diesem Abend begleitet und ich machen uns gemeinsam mit dem Gros des Publikums schon auf den Weg zu einem der seitlichen Ausgänge in Bühnennähe, als plötzlich Jarvis’ Stimme aus dem Off ertönt. Die Hauslichter erlischen und Pulp entern die Bühne tatsächlich noch ein allerletztes Mal, um diesen denkwürdigen Konzertabend mit einer elektrisierenden Version von „Joyriders“ – einem ihrer selbst erklärten Lieblingsstücke als auch Fan-Favourite – und zu guter letzt dem dieser Nacht mehr als würdigen „Glory Days“ standesgemäß zu beschließen. What a Night. What a City. What a Show. Bleibt zu hoffen, dass diese Karriere-Zugabe der Sheffielder Indie-Ikonen niemals mehr enden möge.