The Jeremy Days – Dortmund, Domicil Tape Recording Session (12.12.2024)

Schachbrettartiges Fliesenbodenmuster, weinrote Samtvorhänge, goldener Treppenhandlauf – die Dortmunder Jazzbar Domicil hat Klasse. Der perfekte Ort also für die Hamburger Indiepop-Institution The Jeremy Days, um eine Platte aufzunehmen.
Richtig – an nur einem einzigen Abend. Was wie kompletter Irrsinn klingt, passiert hier und heute tatsächlich: Anlässlich seines 35-jährigen Bestehens hat der Verein Analogue Audio Association, der sich der Förderung analoger Musik verschrieben hat, die in ihrer Akustik-Formation auf ein Trio geschrumpfte Band zu einer Tape Recording Session in den Ruhrpott eingeladen.


Zwei Aufnahmespuren

Und diese Bezeichnung ist Programm: Auf zwei Tonband-Spuren werden die beiden live gespielten Sets der J’Days aufgenommen und on the fly auch gleich abgemischt, wie mir Birgit Hammer-Sommer von Sommelier du Son, die gemeinsam mit ihrem Mann Dirk für diese Produktion verantwortlich zeichnet, erklärt. Auf meine sich daran anschließende Frage „Und dann in der Post Production nochmal final gemixt?“ grinst sie vielsagend. „Das ist quasi unmöglich bei lediglich zwei Spuren.“

Die beigegraue Bandmaschine dafür stamme aus den 1980er-Jahren und gehörte früher mal dem Österreichischen Rundfunk, lässt die Ton-Expertin mich wissen. Und das Einzige, was quasi überhaupt noch vonstattengehen könne, bevor die heutigen Aufnahmen auf Vinyl gepresst würden, sei der Schnitt der für die Platte gemeinsam mit der Band noch auszuwählenden Songs.


Auflage 1000 Stück

1000 Exemplare wird es von ihr geben, wie mir Ingo Hamecher, Vorsitzender der Analogue Audio Association, verrät – und gepresst sowie vertrieben solle die Gatefold-LP im nächsten Frühjahr auf dem vereinseigenen Label Phoenix werden. Um das Plattenproduktions-Tagwerk rund zu machen, würden die Fotos fürs Album-Artwork auch gleich heute auf der Bühne mitgeschossen.

Die betreten Dirk Darmstaedter (Gesang und Gitarre), Stefan Rager (Drums und Percussions) gemeinsam mit ihrem Leadgitarristen Jörn Heilbut wie im Vorfeld angekündigt pünktlich gegen 18.30 Uhr. Vor der nur wenigen Zentimeter hohen Stage stehen in Reih und Glied Stühle mit silberglänzenden Metallbeinen für die rund 50 Glücklichen, die bei diesem Event im kleinen Konzertsaal auf der 1. Etage im Domicil dabei sein dürfen.

Lebend-Bandarchiv
Mein Gefühl sagt mir sogleich, dass es die richtigen Menschen sind: Unter ihnen viele Jeremy-Days-Fans der allerersten Stunde – wie etwa die beiden Anfang-Fünfziger Marco und Toby. Letztgenannter so etwas wie ein wandelndes gut Einmeterneunzig-großes Bandarchiv mit einer der wohl umfangreichsten Tonträgersammlungen der hanseatischen Indiepopper. Marco indes hat für die Tape Session eigens seinen Urlaub unterbrochen und eine dreistündige Autofahrt durch den Feierabend-Verkehr Nordrhein-Westfalens auf sich genommen, damit er hier sein kann.

Eine gute Entscheidung: Denn seine Lieblingsband hat in beide Aufnahme-Sets zwölf (identische) Songs gepackt, die die Herzen der Zuhörenden schier hüpfen lassen. Ein smart ausgewählter und musikalisch gefühlvoll vorgetragener Querschnitt der J’Days-Geschichte im Unplugged-Gewand (Setlist siehe unten). Alle Tracks kommen dabei zwar in intimen, atmosphärisch aber dennoch dichten Arrangements daher – aufgezeichnet auf Tonband für die Ewigkeit.


Applaus nach Absprache

Ungewohnt für das anwesende Publikum ist heute allerdings, dass das hier kein klassisches Konzert, sondern eine Plattenaufnahme ist. Darauf weist das Produktionsteam vorab auch noch einmal ausdrücklich hin. Und bittet um wohlverdienten Applaus nach den Liedern erst nach abgesprochenem Handzeichen von Bandleader Dirk Darmstaedter, der wiederum das OK hierfür aus dem Aufnahmeraum über seine schwarzen großen Headphones direkt auf die Ohren bekommt. Zum Erstaunen aller Beteiligten klappt das bemerkenswert reibungslos, sodass die Tracks später auf Vinyl genügend Raum haben werden um auszuklingen, bevor das begeisterte Klatschen der Zuschauerschaft zu hören sein wird.

Nachdem sich die Jeremy Days konzentriert durch ihr erstes Aufnahmeset gespielt haben, kommen sie zum zweiten Teil der Tape Session in der Gewissheit, einen kompletten Durchgang sicher auf die Tonbänder gebannt zu haben, merklich gelöster zurück auf die Mini-Stage. Und beginnen gegen 20.15 Uhr das zweite Set des Abends frei und beschwingt – was allerdings auch den Pausen-Getränken geschuldet sein könnte, wie Dirk Darmstaedter mutmaßt.


Zwei Kannen Ingwer-Tee

„Ich habe mittlerweile zwei Karaffen Ingwer-Tee intus und bin schon ganz high davon“, so der Frontmann lachend. Die Stimmung ist prächtig, on stage und im Publikum – und auch die Produktionsleitung ist voll des Lobes für die energiegeladene, eindrucksvolle Performance. Das klänge alles ja noch besser als im ersten Durchgang, so die mittlerweile schon vertraute Stimme aus einem der Lautsprecher unmittelbar neben der Bühne.

Dass die Band einige Songs aufgrund von Verspielern oder Texthängern neu starten muss, interessiert hier niemanden. Im Gegenteil: Es macht die drei ohnehin schon sympathischen Hamburger Musiker, die sich deshalb gegenseitig necken, noch ein Stück weit nahbarer.

Genügend Tonband
„Haben wir noch Tonband über?“, fragt Sänger Darmstaedter grinsend in Richtung der Aufnahmeleitung, nachdem das Trio unter dem nun gestatteten frenetischen Jubel der Gastschar zu einer Zugabe aufgefordert wird. „Ja, haben wir“, so die Antwort aus dem Off. Was folgt, ist der krönende musikalische Abschluss dieses grandiosen Abends, auf den ich insgeheim noch so gehofft hatte: „Raintree Country“ vom selbstbetitelten The-Jeremy-Days-Debütalbum aus dem Jahr 1989. „Ein Song, der uns ganz besonders am Herzen liegt“, so Dirk Darmstaedter. Jau. Und mir erst.


Setlist:

Don’t Tell Me You Care
My House
What The Wind’s Blowin‘ Round
Clouds Of Maine
Beauty In Broken
For The Lovers
Brand New Toy
Loved
Sylvia Suddenly
Beautiful Love
That’s What I Call Love
This World
Raintree Country (Zugabe nach zweitem Set)