Paul McCartney – La Défense Arena, Paris (04.12.2024)

Bereits seit 2022 ist Paul McCartney mit seiner „Got back“-Tour unterwegs, auf der er in rund dreistündigen Liveshows einen Querschnitt seines unvergleichlichen Repertoires präsentiert. Die zunächst auf den amerikanischen Kontinent beschränkte Tournee hat sich mittlerweile über den gesamten Globus ausgebreitet und erreichte in der vergangenen Woche für zwei der insgesamt acht europäischen Konzerte die französische Metropole Paris.

Die La Défense-Arena, in der „Macca“ am 4. und 5. Dezember gastierte, fasst rund 45.000 Zuschauer und ist damit die grösste Indoor-Halle Europas. Sie liegt mitten im namensgebenden Businessviertel La Défense, im Westen von Paris, das seinerseits als größte Bürostadt Europas gilt und sich mit seiner avantgardistischen Architektur in die Pariser Skyline drängt. Die Kehrseite der dortigen Gentrifizierung ist greifbar und trifft uns, die wir aus dem quirlig-lieblichen Bilderbuch-Arrondissement Montmartre anreisen, mit buchstäblicher Härte: Hier ist alles ebenso unwirklich wie unwirtlich.

La Défense: Klare Kanten, wenig Wärme

Dass heute der Besuch eines Weltstars ansteht, zeigt sich im gleich doppeldeutig unterkühlten La Défense dafür sofort: Schon Stunden vor dem Einlass mäandern vier mehrere hundert Meter lange Schlangen, von unzähligen Ordnungs- und Sicherheitskräften dirigiert, durch die ansonsten leeren Straßen des Viertels. Sämtliche Nationen Europas scheinen hier vertreten und auch wenn die „Paare im besten Alter“ wohl das Gros ausmachen, sehen wir etliche Familien mit Kindern, viele junge Menschen, die sich zum Warmmachen ihre Lieblingssongs der Fab Four auf dem Smartphone vorspielen und sogar einige offensichtliche Zeitzeugen der frühen Beatles-Jahre. Als sich um 17:30 endlich die Pforten der Arena öffnen (wir können das von unserer Position aus nicht sehen, sondern einige Zeit später nur erahnen), kommt peu á peu Bewegung in die endlosen Menschenreihen, die nun durch ein Schleusen- und Absperrsystem tröpfchenweise Richtung Halle geleitet werden, um diese innerhalb der nächsten Stunde wie in Zeitlupe zu fluten.

Die Arena kurz vor Einlass – die Menschenmengen stehen hinter der Kamera

Drinnen erreicht das Geduldsspiel das nächste Level. Die vorderen Reihen sind – auch dank der unsäglichen Golden Circle-Bestuhlung zu horrenden Preisen – ruckzuck dicht, nervige Beatles-Samples und -Cover dröhnen viel zu laut aus den Boxen und Getränke sind nur zu weirden Preisen zu haben. (0,4l Krombacher aus’m Schlauch: 10€). Nach weiteren zwei Stunden des Wartens und Geduldens, startet als finale Hürde der strapazierten Nerven eine überdimensionale Video-Installation, in der wir den Star des Abends chronologisch auf unzähligen Etappen seines bewegten Lebens begleiten können. Optisch beeindruckend, aber mit knapp 30 Minuten Dauer doch viel zu langatmig. Gerade als Ungeduld in Unruhe umzuschwenken droht (die 20 Uhr-Marke ist längst überschritten), gipfelt die Video-Show im funkelnden Abbild des McCartney-Signature-Instruments: dem Höfner-500/1-Bass. Und als es Sekunden später doch endlich ganz dunkel und ganz still wird, weiß auch der letzte der Anwesenden: Jetzt geht es endlich los!

Den Linkshänder-Bass umklammert, entert Paul McCartney um 20:40 Uhr die Bühne und eröffnet den Abend, nach kurzem Gruß ihn die Menge, fulminant mit „Can‘t Buy Me Love“ (A Hard Day’s Night, 1964) – dem Song, den er exakt 60 Jahre zuvor nur wenige Kilometer entfernt in einem Pariser Hotelzimmer schrieb, als sich die Beatles auf ihrer ersten Welttournee befanden. Nahtlos folgen mit „Junior‘s Farm“ (Single, 1974) und „Letting Go“ (Venus And Mars, 1974) zwei große Hits seiner zweiten Band, den Wings, ehe spätestens „Drive My Car“ (Rubber Soul, 1965) und das von der Bläser-Sektion der Hot City Horns beeindruckend begleitete „Got To Get You Into My Live“ (Revolver, 1966) klarmachen, mit welchen Dimensionen wir es hier heute Abend zu tun haben werden.

Eine Rock-Show par excellence vor ausverkauftem Haus

Paul McCartney wird in knapp drei Stunden sage und schreibe 36 Songs zum Besten geben – und zwei Drittel davon werden Beatles-Songs sein! Der mittlerweile 82-Jährige ist dabei gut gelaunt und wirkt topfit. Er spricht immer mal wieder mit dem Publikum – zur Begeisterung der Menge auch auf Französisch – und harmoniert hervorragend mit seiner bemerkenswerten Band, die ihn schon seit mehr als 20 Jahren begleitetet. Und wenn in den Höhenlagen mancher Songs doch einmal die Stimme weg zu brechen droht, fangen ihn die Bandmitglieder und die geschickte Sound-Abmischung ohne große Umschweife wieder auf.

In der ersten Stunde ist die Setlist geprägt von den großen Hits der Wings. „Let Me Roll It“, „Nineteen Hundred and Eighty-Five“ (beide Band On The Run, 1973) oder das grandiose „Let ’Em In“ (Wings At The Speed of Sound, 1976) sind weit mehr als Lückenfüller und werden vom fachkundigen Publikum begeistert gefeiert. Immer wieder und regelrecht unvermittelt streut die Band aber auch schon hier Nummern der Beatles ein, so zum Beispiel „Getting Better“ oder „For The Benefit Of Mr. Kite“ (beide Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967). Und so wie McCartney durch die Jahrzehnte seines Schaffens springt, wechselt er auch jeweils zum Song passend das Instrument: Der Höfner-Bass weicht der E-Gitarre, vom Flügel eilt er wieder zur Zwölfsaitigen, um für die nächste Ballade wieder am Klavier zu sitzen – und selbst eine Ukulele wird später noch zu einem ganz besonderen Einsatz kommen.

Mit den beiden solo vorgetragenen Performances von „Maybe I’m Amazed“ (McCartney, 1970) am Klavier und„I’ve Just Seen A Face“ (Help, 1965) an der akustischen Gitarre, das ich für seinen Skiffle-Beat und seine verschleppten Reime so liebe, leitet McCartney in den zweiten Teil des Abends über. Der Anteil der Beatles-Hits steigt nun deutlich und wie zuvor scheint jeder Song bewusst gewählt und weise platziert, um einerseits in einer Beatles-Nostalgie schwelgen zu lassen, andererseits der großen Bandbreite dieses Ausnahmekünstlers gerecht zu werden.

McCartney überzeugt auch in den ruhigen Momenten

„In Spite Of All The Danger“ (The Quarrymen), dessen Aufnahme von 1958 als ältestes Tondokument mit Beteiligung späterer Beatles in die Geschichte einging, eröffnet diese Phase, gefolgt von „Love Me Do“ (Please Please Me, 1962), der ersten Beatles-Single aus den legendären Abbey Road Studios. Und natürlich lässt McCartney heute Abend auch „Michelle“ (Rubber Soul, 1965) nicht aus, das einzige Lied der Beatles mit französischen Textzeilen. Ruhigen Nummern wie „Blackbird“ (The Beatles, 1969) oder dem mit Hilfe von KI finalisierten „Now And Then“ (2023) stehen Rock- und Schunkel-Songs wie der Common-Hate-Song „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ (The Beatles, 1969), „Lady Madonna“ (Single, 1968) oder „Get Back“ (Let It Be, 1970) gegenüber und werden ihrerseits von starken Wings-Songs wie „Jets“ oder „Band On The Run“. (beide Band On The Run, 1973) bestens ergänzt.

Andächtig würdigt McCartney auch seine verstorbenen Bandkollegen. Mit bereits erwähnter Ukulele – laut McCartney ein Geschenk George Harrisons – leitet er eine wunderschöne Coverversion von dessen „Something” (Abbey Road, 1969) ein, in die die Band zur Full-Version nach der zweiten Strophe einsteigt. Und zu Ehren John Lennons singt er „Here Today” (Tut of War), das er ihm bereits 1982 widmete, als alle Streitigkeiten rund um „Too Many People“ oder „How Do You Sleep“ schon wieder vergessen waren.

Und es kommt noch besser: Schon mit dem ersten Klavier-Akkord der nächsten Nummer gehen ein Raunen und ein Seufzen durch das weite Rund, gefolgt von einer kollektiven Gänsehaut. Inbrünstig singen nun, lauter noch als bisher, mehr als 40.000 Menschen den Refrain und alle Strophen von „Let It Be“ (Let It Be, 1970), dem Song den McCartney schon 1968 inmitten der größten Krise seiner Beatles schrieb, und der erst zwei Jahre später, 1970, kurz vor der offiziellen Auflösung der Band veröffentlicht wurde. Als wolle sie das Publikum wieder aus seiner Sentimentalität reißen, bolzt die Band samt Bläsern beim folgenden James Bond-Soundtrack „Live And Let Die“ (1973) anschließend los, als gäbe es kein Morgen – Lightshow, Flammenwerfer und Feuerwerk tun ein Übriges. Und dann wird es sehr still. Eins fehlt noch, höre ich alle denken, und als McCartney die ersten Töne von „Hey Jude“ (Single, 1968) anschlägt, spricht eine junge Frau hinter mir wohl vielen der Anwesenden aus der Seele, als ihr ein ehrfürchtiges „Oh my god…!“ entweicht. „Hey Jude“ ist die erfolgreichste Single der Beatles. Aber mehr noch als das, ist sie Sinnbild dafür, wie sehr die Musik dieser vier außergewöhnlichen Musiker Menschen verbinden kann. Minutenlang hallen die „Na-Na-Na-Naaaaa“-Chöre noch nach, als Paul McCartney und Band die Bühne längst verlassen haben. Was für ein Erlebnis!

Emotionales Highlight: Das Lennon/McCartney-Duett zu „I’ve Got A Feeling“

Kenner dürften es geahnt haben: Das war noch nicht alles! „You want some more?“ fragt McCartney schelmisch, als die Band nur wenige Minuten später wieder Position bezogen hat, „Well, we have some more!“ Etwas für ihn persönlich sehr Besonderes, wie er ergänzt. Und dann erleben wir 54 Jahre nach Auflösung der größten Band der Rockgeschichte, wie das ikonische Duo Lennon/McCartney gemeinsam „I’ve Got A Feeling“ (Let It Be, 1970) performt – Paul McCartney vor uns auf der Bühne und John Lennon übergroß in einer optisch und akustisch meisterhaft restaurierten Fassung des legendären Rooftop-Konzerts von 1979, dem letzten der Band. Als zur zweiten Strophe Lennons Stimme erklingt, hat die Show einen weiteren emotionalen Höhepunkt erreicht.

Welthits aus 40.000 Kehlen, wie hier bei „Let It Be“

Es folgen das zum Abschied passende Reprise von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und das oft als erstes Heavy Metal-Stück bezeichnete „Helter Skelter“ (The Beatles, 1969). Den Schluss- und wirklich allerletzten Höhepunkt setzt aber das berühmte Abbey Road-Medley aus „Golden Slumbers“, das uns Weitgereisten aus unterschiedlichsten Gründen so unendlich viel bedeutet, „Carry That Weight“ das noch einmal die gesamte Halle zum Singen bringt und „The End“, das mit der letzten Zeile „In the end the love you take, is equal to the love you make“ diesen phantastischen Abend schöner beschließt, als es irgend ein anderes Lied hätte tun können.

Paul McCartney hat in über 60 Jahren Musikkarriere 26 Alben als Solokünstler veröffentlicht, acht weitere mit den Wings und von 1963 bis 1970 alleine 13 teils bahnbrechende Alben mit den Beatles. Er ist Englands erster und einziger Musik-Milliardär und hat Melodien geschaffen, die tief im kollektiven Bewusstsein verankert sind. Dass er dabei im Geiste und im Herzen der spitzbübische Jungspund und vor allem der Beatle durch und durch geblieben ist, der auch in der tausendsten Show nichts lieber tut, als seine Musik zu teilen, hatte heute entscheidenden Einfluss auf einen nahezu perfekten Konzertabend. (Fotos: Simone Hufschlag)