Morrissey – Amsterdam (NL), AFAS Live 
(19.06.2025)

Ex-The-Smiths-Sänger Morrissey verzückt gut 5.000 junge und alte Fans aus vielen Ecken der Welt im Amsterdamer Konzert-Klangwunder AFAS mit einer emotionalen musikalischen Reise durch seine seit mehr als vierzig Jahren währende Karriere.

Auf der aktuellen Tour des aus dem englischen Manchester stammenden Steven Patrick Morrissey gibt es keine Greatest-Hits-Show seiner ehemaligen und das Indiemusic-Genre definierenden Band The Smiths, die im Jahr 2002 vom britischen Musikmagazin New Musical Express zum „Most Influential Artist Ever“ erhoben wurde.

Stattdessen präsentiert der in einen eleganten schwarzen Anzug gewandte Mancunian Morrissey begleitet von seiner vor Spielfreude sprühenden fünfköpfigen Live-Formation mit erstaunlich kraftvoller und nach wie vor jugendlich-elegischer Stimme ein Set, das zu einem Gros aus Liedern seines Solokatalogs besteht – der den Klassikern seiner einstigen Band in nichts nachsteht und unter denen sich vergleichbar funkelnde Indiepop-Perlen finden.

Hommage an The Smiths
„You’re The One For Me, Fatty“ eröffnet nach einem vierzigminütigen Pre-Show-Video, das viele von Morrisseys musikalischen Jugendhelden wie etwa die New York Dolls zeigt, die holländische Konzertnacht beschwingt und stimmungsvoll. Der charismatische Frontmann schwenkt während der Song-Performance drei Gladiolen um sein Haupt herum, dessen Haar mittlerweile ergraut und leicht schütter geworden ist – eine berührende Reminiszenz an die frühen Tage von The Smiths.  

Der große Bewunderer von James Dean und Oscar Wilde begrüßt sein Publikum alsdann mit den Worten „Guten Abend, Amsterdam. Eure Stadt ist wundervoll. Es gibt so viele dunkle Grachten hier – und das ist gut so.“ Schließlich gibt es die standesgemäß seit jeher auch in Morrisseys Liedern. 

Das smarte an diesen: Meist sind seine mitunter zynisch-provokanten Texte über soziales Außenseitertum, Tierrechte, mehrdeutige Sexualität und unerwiderte Liebe versteckt in zuckersüßen Popmelodien, begleitet von jangly Gitarrenriffs und garniert mit beißender Selbstironie sowie intelligentem und politisch geprägtem Wortwitz. Post-Punk-Legende Nick Cave bezeichnete Morrissey jüngst als „One of the best Lyricists of his Generation“. Zu Recht.

Polarisierend seit jeher
Bei alldem bleibt Morrissey ein stark polarisierender Mensch und Künstler. Das war er schon immer. Und mitnichten will ich allem voran einige seiner jüngeren Ansichten und Aussagen in irgendeiner Form schönfärben oder gar gutheißen.

Was ich allerdings genauso wenig gutheiße, ist die sich seit einigen Jahren in unserer Gesellschaft ausbreitende Cancel Culture. Es hat noch nie und niemandem geholfen, andere Menschen auszugrenzen – selbst dann, wenn ihre Haltung mitunter persönlich schwer zu ertragen scheint. 

Denn jeder von uns kämpft tagtäglich einen Kampf, von dem niemand anderes etwas ahnt. Das sollten wir bei aller berechtigten Kritik stets im Hinterkopf behalten – und allen unterschiedlichen Meinungen zum Trotz respektvoll miteinander umgehen.

Lieder wie eine Umarmung
Morrissey-Hits wie „Rebels Without Applause“, „All You Need Is Me“, „Everyday Is Like Sunday“ sowie die Smiths-Signature-Songs „Shoplifters Of The World Unite“ und „How Soon Is Now“ bringen das AFAS zum Kochen. Und je länger der Amsterdamer Konzertabend andauert, desto intensiver ist mir bewusst, wie mich Morrisseys Musik – nicht nur im heutigen Moment, sondern schon mein gesamtes Leben lang – in ihre wärmenden Arme geschlossen hat, wann immer ich sie brauchte. Und mich dabei vermutlich sogar einige Male vor mir selbst rettete.

Während der einzigen Zugabe reißt Morrissey sein schwarzes T-Shirt mit dem Konterfei des US-amerikanischen Sängers Jobriath, unter dem er weiter nichts trägt, mit einem Ruck entzwei, küsst es, wirft es in die johlende Menge und entschwindet ohne einen letzten Abschiedsgruß von der Bühne in die heiße holländische Sommernacht, während seine Band die finalen Töne des sensiblen The-Smiths-Klassikers „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“ ausklingen lässt. Hand aufs Herz: Wer von uns hat genau diesen Traum nicht auch schonmal geträumt.

Setlist
You’re The One For Me, Fatty
Shoplifters Of The World Unite (The Smiths)
I Wish You Lonely
Rebels Without Applause
Sure Enough, The Telephone Rings
All You Need Is Me
One Day Goodbye Will Be Farewell
I Ex-Love You
Istanbul
I Know It’s Over (The Smiths)
How Soon Is Now (The Smiths)
Life Is A Pigsty
Everyday Is Like Sunday
The Bullfighter Dies
The Loop
Scandinavia
Jack The Ripper
I Will See You In Far-Off Places
Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me (The Smiths)