BAP – Lanxess Arena, Köln (13.12.2024)
Wolfgang Niedecken und seine im Laufe der Jahrzehnte zum Kollektiv formierten BAP touren 2024 mit der vollständigen Live-Performance der beiden Alben „Für Usszeschnigge“ und „Von Drinne Noh Drusse“ durch ganz Deutschland. Ihren gefeierten Abschluss fand die komplett ausverkaufte Konzertreihe mit dem Namen „Zeitreise“ am vergangenen Freitagabend beim Heimspiel in der Kölner Lanxess Arena.
Ich nehme es vorweg: Ich bin kein bedingungsloser BAP-Fan – in meinem Alltag finden sie eigentlich kaum statt. Aber ich kenne und liebe jede Zeile von „Für Usszeschnigge“ (1981) und „Von Drinne Noh Drusse“ (1982) und im Ranking meiner persönlichen Sozialisation stehen viele der 21 Songs wahrscheinlich überraschend weit oben. Dass die beiden Alben nun ins Zentrum einer ganzen Konzertreihe rücken, ist weniger überraschend, sorgten sie doch Anfang der 1980er-Jahre nicht nur für BAPs endgültigen Durchbruch und manifestierten ihren eigenwilligen Sound, irgendwo zwischen Arena-Rock, NDW und Liedermachertum – sie enthalten mit „Verdamp Lang Her“, „Kristallnaach“, „Jraaduss“ oder „Do Kanns Zaubere“ auch die Songs, die selbst ein Oberfranke bis heute mit der Kölner Band in Verbindung bringen würde.
Die Lanxess Arena ist am zweiten Abend in Folge bis auf den letzten Platz gefüllt (am Vorabend hatte es aufgrund der großen Nachfrage bereits ein vorgezogenes Zusatzkonzert gegeben) und schon als die insgesamt neun Musiker, begleitet von „In My Life“ von den Beatles, noch im Dunkeln die Bühne betreten, beginnt ein Abend voll toller Musik, spannender Geschichten und schöner Erinnerungen, der keine Wünsche offen lässt.
Ein äußerst aufgeräumter Wolfgang Niedecken führt durch die dreieinhalbstündige Show, die natürlich gespickt ist mit den erwähnten großen Hits der Band, die aber eben auch Raum lässt für all die guten Songs, die vermeintlich immer in deren Schatten standen. Dass Niedecken sich über den ganzen Abend hin viel Zeit zum Austausch mit dem Publikum nimmt, überraschende Anekdoten und Entstehungsgeschichten zu Songs erzählt oder erklärt, was ihn zum Schreiben mancher Stücke bewegt hat und wie er heute darüber denkt, macht den Abend tatsächlich zu einer Zeitreise und verleiht dem Ganzen einen sehr nahbaren Charakter, der wiederum perfekt zum Sessions-Feeling passt, das die großartigen Musiker und die tollen Arrangements mit Bläsern, Cello oder Geige mitunter stiften.
Wer möchte, belässt es heute aber nicht beim bloßen Schwelgen in Erinnerungen, denn viele der Songs bieten die nötige Tiefe für Auseinandersetzung. Niedecken behandelte schon in den frühen 1980ern Themen wie Gentrifizierung („Südstadt Verzäll’ Nix“), politische, kulturelle oder soziale Vereinnahmung („Zehnter Juni“, „Nit Für Kooche“, „Ens Em Vertraue“) oder offensichtliche und subliminale Alltagsdiskriminierung – Inbegriff dessen ist natürlich „Kristallnaach“, jene surrealistische Collage aus erschreckenden Bildern, die derart metaphorisch gestaltet ist, dass sie nicht als Aufarbeitung vergangener Gräueltaten gelesen werden muss, sondern vielmehr als Mahnmal gegen Gewaltbereitschaft, Sündenbocksuche und Duckmäusertum im Jetzt:
„Do, wo Darwin für alles herhällt, ob mer Minsche verdriev oder quält,
Do, wo hinger Macht Jeld ess, wo Starksinn die Welt ess, vun Kusche un Strammstonn entstellt,
Wo mer Hymnen om Kamm sujar blööß, enn barbarischer Gier noh Profit
“Hosianna“ un „Kreuzigt ihn!“ rööf, wemmer irjendne Vorteil drin sieht,
Ess tächlich Kristallnaach.
„Da, wo Darwin für alles herhält, ob man Menschen vertreibt oder quält,
Da, wo hinter Macht Geld ist, wo Starksein die Welt ist, von Kuschen und Strammstehen entstellt,
Wo man Hymnen auf dem Kamm sogar bläst, in barbarischer Gier nach Profit,
„Hosianna!“ und „Kreuzigt ihn!“ ruft, wenn man irgend´nen Vorteil drin sieht –
Ist täglich Kristallnacht.“
(Kristallnach, Vun Drinne Noh Drusse, 1982)
Leider ist Jetzt immer noch jetzt und der Song hat über die Jahrzehnte nichts an seiner Aktualität verloren – ein Umstand auf den Niedecken gerne verzichten könnte, wie er zum Ende des Liedes ins Mikrofon murmelt.
Jenseits allen politischen Sendungsbewusstseins ist Niedecken aber auch einfach ein begnadeter Geschichtenerzähler. Ob bei „Jupp“, dem Lied vom überall bekannten und beliebten Stadtstreicher mit unerkanntem Stalingrad-Trauma, dem „Müsli-Man“, der schon 1981 eine hervorragende Persiflage auf überzogene Political Correctness abgab oder bei „Ahn’ner Leitplank“, dem Requiem für einen unbekannten Unfalltoten: Mit kafkaesker Genauigkeit und gleichzeitig herzerfüllender Wärme zieht Niedecken den Hörer hinein in die jeweiligen Szenarien und transportiert seine Botschaft ohne Übergriffigkeit und erhobenen Zeigefinger.
Die dritte große seiner Disziplinen sind die Balladen – die nicht zwingend auch Liebeslieder sein müssen! Oft sind es nachdenkliche Stücke voller Selbstzweifel und Suche nach Orientierung und Authentizität. Meinen Favoriten aus dieser Rubrik – „Wellenreiter“ – singen die Kölner Zuschauer am Freitagabend gleich ganz alleine. Aber auch „Fuhl Am Strand“ ist ein Paradebeispiel für die Auseinandersetzung mit Haltung und Integrität …und ja: selbst und besonders „Verdamp’ Lang Her“, der zur Mitklatsch-Folklore verkommene Abschiedsbrief an Niedeckens Bap (= Vater), ist für mich immer noch ein hochemotionaler Spiegel seiner Verfassung.
Echte Liebeslieder gab es auch, allen voran natürlich „Do Kanns Zaubere“, das für ein Meer aus funkelnden (Handy)-Lichtern im weiten Rund der Arena sorgte und auf der Beliebtheitsskala sicher nur dicht gefolgt von „Jraaduss“ rangiert, das wiederum mehr ein Trennungs- als ein Liebelied ist, was 20.000 Kölner aber nicht davon abhielt, für einen der großen Show-Momente zu sorgen, als sie den Refrain wieder und wieder skandieren.
Die besagten 21 Songs der Alben werden an diesem Abend angereichert mit einigen Covern von Niedeckens Helden – und mit gleich einer Handvoll derer beschließt die Band den Abend. Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ wird natürlich zu „Wie ´ne Stein“, The Troggs’ „Wild Thing“ zu „Wahnsinn“ und Dylans „Hurricane“ geht fließend über in BAPs „Stell Dir Vüür“ – ehe Niedecken alleine mit Akutiskgitarre und Mundharmonika im Spotlight stehend das letzte Original „Helfe Kann Dir Keiner“ singt.
Wie eine Woche zuvor bei Paul McCartney in Paris, hatte ich auch am vergangenen Freitag keinen Zweifel daran, dass der Künstler auf der Bühne das Vorführen und Feiern seiner Lieder ebenso genoss, wie wir Zuschauer im Publikum – für mich die Basis eines jeden gelungenen Live-Events.
Wolfgang Niedecken hat es geschafft, sein Lebenswerk BAP auch knapp 50 Jahre nach Gründung lebendig zu halten. Und selbst von der Tatsache, dass dies auch in immer neuer Besetzung Sinn gibt, konnte er mich am Freitagabend überzeugen. Nachdem er alle Musiker vorgestellt und gebührend gefeiert hat, attestiert er: „Wenn wir zusammen sind, dann sind wir BAP.“… und fügt hinzu: „Denn wie hat schon Wolf Biermann gesagt: ‚Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!‘“
Was wäre dem noch hinzuzufügen?
Ach, eins vielleicht noch: Man kann nicht über BAP sprechen, ohne über Kölsch zu sprechen. Als Eifler bin ich dieser Sprache mehr oder minder mächtig. Ich verstehe jedes Wort und kann sie – meine Eltern werden milde lächeln, meine Großeltern würden lachen – sogar sprechen. Ich bin sicher, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Niedeckens Sprache, seinen Aussagen und deren Rezeption besteht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie BAP-Lieder klingen, wenn man Kölsch nicht versteht, aber ich kann sagen, dass es keinen direkteren Weg zu Herz und Hirn gibt, wenn man es tut.