Kettcar – Ich vs. Wir
Ich muss gestehen, ich hatte das Kapitel Kettcar für mich selbst schon abgeschlossen. Nach „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ (2005) fand ich eigentlich nur einzelne Songs ganz okay. Die lebensrettende Tiefe des Debütalbums „Du und wie viele deinen Freunde“ konnten die Hamburger irgendwie nicht mehr erreichen. Mit dem Opener vom neuen Album „Ich vs. Wir“ ist die alte Liebe jedoch sofort wieder entfacht.
„Es war einer dieser Zyankali-Tage. An denen wir uns mal wieder umbringen wollten. Weil die Menschen überhaupt keinen Sinn ergaben.“ („Ankunftshalle“)
So beginnt der Song „Ankunftshalle“ und somit auch das neue Kettcar-Album. Und für mich ist in diesem Moment alles gut. Der Song, der Text und die Grundstimmung sind wie eine wohlige Erinnerung an die Tage, in denen die dunkle Wolke über meinem Kopf vom „Balkon gegenüber“ weggepustet wurde.
Die beiden politischen (Vorab-)Singles „Sommer ’89“ und „Wagenburg“ fand ich bereits im Vorfeld ziemlich gut. Und das alleine deshalb, weil es so unfassbar wichtig ist, dass auch mal Bands mit einer gewissen Popularität Stellung beziehen. Die Debatte um die Stücke und die Befürchtung einiger Kommentatoren auf den verschiedenen Social Media-Plattformen fand ich allein vor dem Hintergrund der Vergangenheit der Band albern. Man stelle sich mal vor, die Band hätte ein rein politisches Album geschrieben… Dass es Wiebusch und Co. aber auch schaffen befindlichkeitsfixierte Songs auf den Punkt zu bringen, kommt trotzdem ein wenig unerwartet.
„Irgendwann ist immer nur ein anderes Wort für nie“ („Benzin und Kartoffelchips“)
Für mich, der bereits eine große Affinität zu …But Alive hatte, ist es deshalb einfach schön zu hören, dass Kettcar wieder zurück zu ihren Wurzeln finden. Musikalisch intelligent und textlich gewohnt schlau, schaffen es die Hamburger zu begeistern. Egal, ob „Straßen unseres Viertels“ oder „Den Revolver entsichern“, Kettcar haben es immer noch drauf. Einzig „Mannschaftsaufstellung“ und „Das Gegenteil der Angst“ fallen gegen Ende des Albums ein bisschen ab. Da wird es dann doch ein Stück weit beliebig. Aber auf Albumlänge fällt das kaum ins Gewicht.
„Einfach mal die Fresse halten ist keine Schwäche. Nicht zu allem eine Meinung habe… keine Schwäche. Ich erkläre meinen Kindern was ein guter Mensch ist. Mit Sätzen die heutzutage sonderbar klingen. Denke an meinen Vater hoff das ich besser bin.“ („Den Revolver entsichern“)
Was soll ich sagen, er spricht mir aus der Seele.
Video: Kettcar – „Sommer ‘89“