Tourtagebuch: tinie creatures – Sleepless Tour (Teil 1)

tinie creatures sind momentan auf Deutschlandtour zum Release ihres ersten Albums „Sleepless“. Freda, Bassistin und organisatorisches Gehirn der Band, schreibt hier über die ersten Konzerte der Tour.

17.09.2024: Trier. Plan K
Tourauftakt in Trier. Vielleicht nicht die smarteste Idee, wenn man bedenkt, dass die letzten Aufenthalte mit der Band dort eher exzessiv endeten und schöne Raucherkneipen zur Kernkompetenz der Stadt gehören. Dieser Fakt bringt mich in meinem ohnehin etwas überforderten ADS-Gehirn beim Packen dazu, diesmal mehrere Plastiktüten für verrauchte Dinge und eine Flasche Textilerfrischer einzupacken. Die Rolle der Bandoma will aber ja auch mit Inhalt gefüllt sein.

Für die Logistik wurde eine kleine Dachbox für den treuen dunkelblauen VW Passat, genannt „der Wal“, besorgt. Seit Mocki, der Schlagzeuger, eine Bassdrum erworben hat, die im Grunde nur aus einem Schlagfell mit Rahmen besteht und entsprechend quasi keinen Platz wegnimmt, sind wir extrem optimistisch, was unsere Packmenge angeht. Alles in allem wird es beim ersten mal Einladen aber natürlich eine verdammt knappe Kiste und einige Dinge bleiben doch zuhause. Kurz nach Aufbruch bekommen wir spontan die Einladung, am Freitag, an dem uns leider ein Konzert weggebrochen ist, auf dem Bauernhof einer Freundin im Westerwald zu spielen. Guter Start.

Das Plan K empfängt uns freundlich und überrascht vor allem mich und Bertin, den Multiinstrumentalisten, positiv mit Kneipenkatzen. Das letzte mal waren wir hier zum Ausklingen nach unserem Konzert im benachbarten Miss Marples (an dieser Stelle herzlichste Grüße an Mareike und die Herren von Senor Karoshi), als Konzertlocation kannten wir es noch nicht. Soundzauberer Bertin zaubert schnell einen guten Sound aus der verhältnismässig kleinen Hausanlage, wir richten uns die Bühnenecke schön ein und dann gehen wir erstmal ein bisschen im Laden stromern. Wir finden im Backstage ein fantastisches Mahl vor, das sich sicher auf die Auswahl meiner Weihnachtsgeschenke auswirken wird (alle dürfen sich auf Tessiner Senfsauce Rote Feige einstellen). Dass wir neben der gewaltigen Schnapsreserve untergebracht sind, stimmt auch schon gut auf den Abend ein.

Es finden sich einige Menschen ein, viele bekannte Gesichter, einige Neulinge. „Gut vernetze ältere Herrschaften“ (Selbstbezeichnung) bringen gute Laune und viel Interesse mit, Publikumsbeteiligung ist gut, kann man nicht meckern. An der Stelle sollte ich wohl einmal kurz erklären, wie man sich ein tinie creatures-Konzert vorzustellen hat: Das Projekt war ursprünglich mal ein Soloprojekt von Tom, ist aber mit der Zeit ein wenig explodiert, sodass wir inzwischen meist in einer Kernbesetzung zu viert unterwegs sind. Deshalb gibt es eigentlich immer Songs, die Tom alleine mit E- oder Akustikgitarre spielt, manchmal kommt Bertin am Bass dazu, ein paar Songs spielt dann auch Mocki mit, manchmal gibt es noch Backinggesang von mir und schließlich gibt es einen großen Teil Songs, bei denen ich den Bass übernehme und Bertin an Gitarre oder Trompete wechselt (letzteres aktuell verletzungsbedingt allerdings nicht). Ist also viel Bewegung drin und geht durch verschiedene Stimmungen, von ganz leise bis laut, ruhig bis tanzbar. Ein aufmerksames Publikum ist also Gold wert und Trier liefert in der Hinsicht wirklich super ab.

Entsprechend der Euphorie und des schönen Abends wird es wie befürchtet eher lang und promillereich, unter anderem wird auch eine der Ladenspezialitäten, ein alkoholhaltiges Halbgefrorenes, getestet. Wir bekommen von einem Ortskundigen die beste betrunkene Wegbeschreibung zu unserem Schlafplatz und dann gehts ins Bettchen.

Foto: tinie Creatures

18.09.2024: Stuttgart, Treber und Trester
Der nächste Tag beginnt entspannt, da wir die Instrumente erst um 13 Uhr aus dem Plan K holen können. Leider habe ich einen eher schwierigen Schlafrhythmus, sitze ab halb 9 am Laptop und kümmere mich um Band-Organisationsdinge. Der Rest schläft erstmal aus, smart. Mocki, der als einziger noch nie in Trier war, macht ein bisschen Sightseeing der lokalen Musikalienhändler, verpasst dabei allerdings leider die Porta Nigra knapp. Müssen wir wohl nochmal kommen. Die nächste Runde Auto-Tetris gelingt schon besser, was gut ist, da die 3+ Stunden Fahrt nach Stuttgart natürlich komfortmäßig eine etwas andere Nummer sind als der Katzensprung von Köln nach Trier.

Auf der Fahrt bekommen wir spontan eine Supportanfrage von Alexis Dalas, einem befreundeten Gitarristen. Zum Glück ist das Treber und Trester genauso spontan wie wir, daher freuen wir uns auf ein bisschen schöne instrumentale Gitarrenzauberei vor unserem Auftritt.

Das Treber und Trester ist ein wunderschöner kleiner Laden in Stuttgart-Feuerbach. Wir werden empfangen mit hausgebrauten Bieren und einer fantastischen Apfelschorle. Die Bühne ist eher klein und die Soundsituation ein bisschen tricky, da ein paar elementare Teile in Reparatur sind. Mithilfe des Teams und Bertins stoischer Ruhe beim Setup können wir es glücklicherweise lösen. Einzig eine externe Stammtischveranstaltung des Ortsverbandes einer großen Partei im Nebenraum fühlt sich durch die (angekündigte) Soundcheckphase gestört, was aber zum Glück dank kompetentem Barpersonal und Toms manchmal magische empathische Art nicht weiter eskaliert. Die Ansage zum Song „Rain“, bei dem es um Flucht geht, fühlt sich heute aber etwas anders wichtig an als sonst. (Bei der Gelegenheit vielleicht der kurze Disclaimer, auch wenn es für Crazewire-Lesende vermutlich auch eher Preaching to the Choir ist: Die Gleichsetzung von Islamistischen Terroristen und Geflüchteten, die spätestens seit dem Anschlag in Solingen nicht nur von Teilen der Gesellschaft, sondern vor allem auch von einer Vielzahl von Politiker*innen gemacht und als Konsequenz für aktive Entscheidungen in der Migrationspolitik benutzt wird, empfinden wir als gruselige Entwicklung.)

Stuttgart ist für uns besonders, denn einerseits hat Bertin hier lange studiert und entsprechend ist es für ihn ein bisschen Heimspiel. Andererseits ist Flo, der bis vor kurzem unser Hauptschlagzeuger war, kürzlich wieder hergezogen und wird heute bei drei Songs mitspielen. Zeit für eine Probe gab es allerdings nicht. Da der Typ aber ein kleines Genie ist, merkt man das halt keine Sekunde und es macht einfach sehr viel Spaß, nach einem halben Jahr nochmal mit ihm zu spielen. Auch der Rest des Konzertes macht Spaß, wir haben erneut ein sehr zugewandtes Publikum und selbst der Stammtisch hat noch Komplimente an der Bar gelassen. Hashtag Ambiguitätstoleranz.

Wer nicht fahren muss, wird an der Bar noch mit Bier und einem fantastischen Zirbenschnaps bekümmert. Tom lernt den Unterschied zwischen Saitanwürstchen (vegetarisch) und Saitenwürstchen (eine lokale Bezeichnung für Frankfurter) am praktischen Beispiel. Die Enttäuschung, dass es der Menschheit doch nicht gelungen ist, eine komplett perfekte vegetarische Wurst herzustellen, sondern er einfach nur ausversehen Fleisch gegessen hat, sitzt tief.

Foto: tinie creatures

19.09.2024: Day Off (Stuttgart)
Wir kommen in einer befreundeten WG unter, die uns netterweise für 2 Tage Obdach bietet, da wir am Donnerstag keinen Konzerttermin haben. Das Treber und Trester war dabei so lieb, unser Equipment zwei Tage zu verstauen, was uns sehr viel Geschleppe erspart hat. Danke dafür nochmal!

Der Schlafrhythmus (und die Tatsache, dass ich auf einer Luftmatratze penne) treiben mich wieder um halb 9 an den Computer, wo ich erstmal einige Stunden verweile, um den Albumrelease am folgenden Tag vorzubereiten und noch ein paar finale Dinge mit den Locations für die nächsten Termine zu klären. Auch Tom hat noch einiges zu tun, also trennt sich das Rudel, Bertin besucht Menschen, während Mocki den Nachmittag vor allem mit dem Kreuzworträtselblock auf dem WG-Balkon verbringt.

Danach treffen wir uns in der Stadt, um die lokalen Second Hand Läden unsicher zu machen. Ich finde wenig für mich, aber ein paar wirklich fantastische Oberteile für den Rest der Truppe. Niemand kann dieser Band den Vorwurf machen, nicht stets dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein. Den Abend lassen wir mit Freunden und schwäbischer Küche ausklingen. Obwohl ich am nächsten Tag den Wecker auf 7 Uhr stelle, um die letzten organisatorischen Dinge zum Release vor der Weiterfahrt zu erledigen, warte ich noch bis Mitternacht, um zu checken, ob mit dem Digitalrelease alles geklappt hat und das Album bei den Streamingdiensten korrekt auftaucht. Tut es. Puh.

Foto: Christian Beer

20.09.2024: Maxsain, Aller’s Wiesenhof
Release-Tag! Tom und ich erledigen, was man als Band so zu erledigen hat, wenn ein Album raus kommt (Social Media Posts erstellen, Newsletter verfassen und rausschicken, Webseite anpassen, Tracks auf Bandcamp veröffentlichen und tausend weitere kleine Dinge, an die man so denken muss), dann gibt es ein schnelles Frühstück und ab gehts zum Treber und Trester, das Equipment abholen. Inzwischen kommunizieren wir irgendwie nur noch wie Fußballhooligans miteinander und die völlige Übermüdung führt zu extrem philosophischen Aussprüchen auf der Rückbank des Wals („Irgendwie ist man ja doch nie irgendwo. Außer manchmal“).

Wir machen einen kleinen Zwischenstop in Heidelberg, wo wir 14 Tage zuvor im Rabatz gespielt haben und es eine kleine Bassdrum-Pedal-Verwechslung gab. Danach geht es Richtung Maxsain, wo die üppige Gartenlaube des Hofes wunderschön für uns als Location hergerichtet wurde. Die Jungs machen als erstes einen Sprung in den dortigen Schwimmteich, was Tom ob der Temperatur als „Kategorie eher gesund als lecker“ bezeichnet. Ich setze mich erstmal ab, um den unzähligen Hofkatzen einen Besuch abzustatten.

Während wir die Bühne aufbauen, finden sich bereits die ersten Gäste ein. Dafür, dass das Konzert erst seit 3 Tagen angekündigt ist, hat der Wiesenhof die Promomaschine beeindruckend effektiv angeschmissen und die Laube wird richtig schön voll. Überhaupt hat unsere Gastgeberin hier einen Kraftakt geleistet, mal eben zwischen Maisernte und Abreise in den Urlaub um 7 Uhr morgens noch ein Konzert aufzubauen. Vielen, vielen Dank an Toni und Simon, das war absolut fantastisch.

Zwischen Lichterketten und Gaslaternen spielen wir das dritte wirklich sehr schöne Konzert in Folge. Mindestens zwei Menschen erleben heute ihr erstes Konzert, wobei vor allem der Säugling eine extrem gute Zeit hat und sehr fröhliche Laute von sich gibt – hier wächst wohl ein Musikfan heran, sehr gut.

Nach dem Konzert merke ich den Schlafmangel dann doch deutlich, bekomme Weckerstellverbot von der Band und einen wunderschönen Schlafplatz mit Blick über die Weiden zugewiesen. Nachtinachti Wiesenhof, das war ein Fest!

Foto: Frank Joergensen

21.09.2024: Köln, Kolbhalle
Heute wird es stressig, deshalb machen wir uns relativ früh auf den Weg nach Köln. Köln ist ja unser Zuhause, deshalb wird das Konzert heute eine große Release-Party mit vielen kleinen Überraschungen. Der Konzertraum der Kolbhalle möchte dekoriert werden, außerdem brauchen wir noch Equipment, und da einige Gastauftritte für heute geplant sind, wird auch der Soundcheck länger ausfallen als sonst. Zum Glück haben wir heute als Soundmenschen Daniel Roesberg eingeladen, der das Album auch gemischt und gemastert hat und ein guter Freund der Bandfamilie ist (manche kennen ihn vielleicht als Drummer der Band Lygo). Wir räumen also schnell den Wal aus und teilen uns danach auf: Mocki, Tom und ich holen eine weitere Wagenladung Kram aus verschiedenen Ecken von Köln, während Bertin schon einmal die Bühne aufbaut und verkabelt. Irgendwie schaffen wir es sogar zwischendurch Pizza für alle zu besorgen. Der Soundcheck wird erwartungsgemäß lang und die zum Glück vorhandenen Problemlöserqualitäten aller Beteiligten kommen uns gut zupass, da es einige technische Hürden zu nehmen gibt.

Heimspiele sind immer so eine Sache für eine Band, man steht plötzlich in einem Raum mit super vielen Menschen die man kennt und mag und hat gar keine Zeit, dem gerecht zu werden. Das ist heute noch mal etwas intensiver der Fall, da das Konzert um 22 Uhr zu Ende sein muss und deshalb wirklich wenig Zeit zwischen Einlass und Start liegt. Dafür stehen wir dann aber vor einer großen Menge an Menschen, die uns einen wirklich fantastischen Abend bescheren. Zudem bereiten uns die Gastmusiker*innen Stella Louise Goeke (Gesang), Hanna Walter (Gesang und Klavier), Daniel Rabe (Keyboard) und Janosch Willig (Trompete) sehr große Freude und teilweise auch Überraschungen, da die Proben nicht immer in voller Besetzung stattfinden konnten und Teile von uns die Songs zum ersten Mal so hören. Das Konzert ist verdammt gut für das Herz, und es werden auch einige Schallplatten mitgenommen.

Nach dem Konzert bauen wir schnell die Bühne ab und lagern das Equipment ein, bis es am Montag weiter geht Richtung Essen. Ganz trennen kann sich das Rudel trotz Müdigkeit noch nicht, und so zieht der Großteil noch auf einen Abschlussumtrunk weiter, bevor wir uns in verschiedene Ecken von Köln verabschieden.

Weiter geht es hier:

23.09.2024 Essen, Rabbit Hole Theater
24.09.2024 Bremen, Littfass
25.09.2024 Hannover, Nordstadtbraut
27.09.2024 Leipzig, EG125