Van Morrison – Remembering Now
Mit „Remembering Now“ veröffentlicht Van Morrison sein sage und schreibe 47. Studioalbum und überzeugt darauf einmal mehr mit seiner so typischen Mischung aus Soul, Rhythm and Blues, Jazz und Folk. Keine spektakuläre Schaffenswende also – aber ein eigenwilliges, opulentes und in allen Belangen beeindruckendes Spätwerk.
Um es vorwegzunehmen: Ich fühle mich nicht berufen, über Werk und Bedeutung dieser nordirischen Legende zu referieren. „Brown Eyed Girl“ war für mich jahrzehntelang nicht mehr als eine Zugabe auf Lagwagon-Shows, „Tupelo Honey“ hielt ich noch vor Wochen für eine gelungene Calamatix-Ballade und selbst zu meinem geliebten „Bright Side Of The Road“ gelangte ich mit der Verfilmung von Nick Hornbys Klassiker „Fever Pitch“ vor Jahren nur durch Zufall. Über den Schöpfer dieser ikonischen Songs und den Umfang seines weitreichenden Oeuvres wußte ich nichts. Ein echter Van Morrison-Banause also. Und doch feier ich hier ein Album, das mich mit seiner reichhaltigen Instrumentierung, der warmen Produktion und dem großartigen Songwriting über die volle Distanz von einer Stunde und 14 Songs so begeistert hat, dass der Opus dieses Musikers schluss- und letztendlich wohl doch noch Einzug in die musikalische Untermalung meines Alltag halten wird.
Den Anfang auf „Remembering Now“ macht „Down To Joy“, das Van the Man bereits 2021 für den Film „Belfast“ komponiert hatte und das in diesem Kontext sogar für einen Oskar nominiert wurde. Diese soulgetränkte, fast beschwingte Reminiszenz an den eingangs erwähnten Filmabspann-Kollegen „Bright Side Of The Road“ war als erste Single-Auskopplung des kommenden Albums veröffentlicht worden und präsentiert den 79-Jährigen gleich zu Beginn in Höchstform – in absoluter wohlgemerkt, nicht in relativer: Hammond-Orgel, geschmeidige E-Gitarre, pointierte Bläser, weiche Soul-Chöre, dynamische Streicher und ein Van Morrison, wie in seiner Prime.

Gibt sich auf „Remembering Now“ milder aber gleichbleibend kraftvoll: Van Morrison (Foto: Lewis McClay)
In ebendieser wohligen Melange aus Drive, Wärme und Eleganz erzählt Morrison im weiteren Verlauf des Albums seine Geschichten, sinniert über Brüche und Verluste und huldigt mal sanft und beseelt, mal eigensinnig und fokussiert, seinen Helden, seiner Heimat und seiner Herkunft. In der Vergangenheit galt er als die rastlose Künstlerseele, die entweder mit erleuchteter Klarheit oder aber mit störrischer Dickköpfigkeit eigensinnige Pfade abseits des Mainstreams beschreiten musste. Auf „Remembering Now“ klingt Morrison dagegen entschleunigt, ja fast versöhnlich. „The Only Love I Ever Need Is Yours“ und „Once In A Lifetime Feelings“ beispielsweise sind regelrecht intime Songs über das Vergehen von Zeit und Liebe – getragen von feinen Akkorden, wehmütigen Harmonien und einer Stimme, die nicht dominieren will, sondern verstehen. Blicke zurück werden nicht mehr von Bitterkeit geleitet, sondern von Milde.
Als ebenso vielschichtig wie die Lyrics – und mindestens so wesentlich für die Qualität dieses Albums – präsentieren sich die abwechslungsreichen Kompositionen und butterweichen Arrangements, die wie immer von einer fabelhaften Band zum Leben erweckt werden: Mit Richard Dunn (Hammondorgel), Stuart McIlroy (Klavier), Pete Hurley (Bass) und Colin Griffin (Schlagzeug und Perkussion) erhält Mastermind Morrison hier Unterstützung von Ausnahmemusiker, die bereits seit „Three Chords and the Truth“ (2019) im Team sind. Die so hervorragend eingesetzten Streicher wurden von Fiachra Trench (Paul McCartney, Elvis Costello) arrangiert und dirigiert, dessen Zusammenarbeit mit Van Morrison sogar bis auf das Album „Avalon Sunset“ (1989) zurückgeht. Weitere Beiträge stammen von Michael Beckwith, dem Gründer des Agape International Spiritual Center, dem renommierten Lyriker Don Black (Ennio Morricone, John Barry, Quincy Jones) und dem gefeierten Folk-Künstler Seth Lakeman. Besonders das grandiose „Haven’t Lost My Sense Of Wonder“, aber auch „Love, Lover und Beloved“, „Memories And Vision“ oder der Titeltrack profitieren von solcherlei Qualität.
„Remembering Now“ ist ein Album voller Tiefe und Facettenreichtum. Und auch wenn sich gleich der Opener „Down To Joy“ im Nachhinein als der zugänglichste Song der Platte entpuppt – und noch dazu als der, bei dem Van Morrison am meisten aus sich rausgeht, während in vielen anderen Passagen des Albums eine eher kontemplative Grundstimmung herrscht – darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die von Morrison, Band und Produktion auf allen Ebenen geschaffene Spannweite ist, die dieses Album zu einem großartigen machen.
Künstler: Van Morrison
Album: Remembering Now
VÖ: 13.06.2025
Label: Virgin Music