Interview: Rocky Votolato [Suzzallo]
Suzzallos Debüt „The Quiet Year“ sorgt musikalisch wie thematisch für Aufsehen: Im ruppig-süßen Sound des 90s-Alternative-Rock verarbeitet Rocky Votolato einfühlsam und mit entwaffnender Offenheit den Unfalltod seines Sohnes Kienan. Karsten sprach mit dem Frontmann über Kunst als Ventil und Suzzallos Zukunft als Band.
CRAZEWIRE: „The Quiet Year“, das Debüt Deiner neuen Band Suzzallo, ist vor wenigen Wochen erschienen [Hier geht’s zu unserem Review von „The Quiet Year“]. Wie zufrieden seid ihr mit der bisherigen Resonanz? Kannst Du schon mit ein wenig Abstand darauf blicken oder ist alles noch zu sehr im Fluss?
Rocky: Wir sind sehr zufrieden und wirklich glücklich damit, wie das Album bisher aufgenommen wurde. Ich bin echt überwältigt von den vielen freundlichen und aufmerksamen Nachrichten, die uns die Leute geschickt haben, und von dem großen Lob, das das Album erhält. Der DJ John Richards von KEXP 90.3FM in unserer Heimatstadt Seattle hat sogar schon mehrmals gesagt, dass er es für einen starken Anwärter auf das Album des Jahres hält. Das bedeutet mir persönlich echt viel, denn ich habe großen Respekt vor dem was er tut. Er hilft mit seiner Radioshow so vielen Menschen auf der ganzen Welt.
Wir wurden außerdem zu mehreren guten Playlists auf Apple Music hinzugefügt, so dass die Streamingraten viel höher sind, als bei allem, was ich bisher gemacht habe. Unsere Show in Seattle war ausverkauft und wir haben die Bestätigung für einige ziemlich große Eröffnungsspots erhalten, die wir auch bald ankündigen werden. Die Dinge laufen also besser, als ich es mir zu diesem Zeitpunkt hätte wünschen können. Rudy (Gajadhar, Schlagzeuger) und ich haben gestern noch gescherzt, dass wir erst vor einem knappen Jahr zu Robert Lang ins Studio gegangen sind, um das Album aufzunehmen – es ist alles noch so neu Wir sind sehr dankbar für all die Liebe und Unterstützung, die wir aus der ganzen Welt erhalten haben.
CRAZEWIRE: Habe ich mit „Band“ überhaupt den richtigen Begriff gewählt oder siehst Du Euch eher als eine Art „Projekt“ – vielleicht sogar eines mit dem einzigen Ziel, genau dieses Album zu veröffentlichen?
Rocky: Beide Begriffe passen, aber ich denke, letztendlich sind wir eine richtige Band. Was wir tun, wäre ohne Rudy und Steve nicht dasselbe, und jeder von ihnen bringt eine einzigartige und wichtige Energie mit ein. Wenn wir drei zusammen sind, ist das für mich irgendwie magisch, und wir sind definitiv in dem Sinne eine Band, wie es all die Bands waren, die ich in den 1990er und 2000er Jahren als Kid geliebt habe. Unsere Musik ist mehr als die Summe ihrer Teile. Und unsere Live-Shows sind musikalisch das Aufregendste, an dem ich bislang beteiligt war! Obwohl die Themen auf der Platte ziemlich düster und schwer sind, kommt so viel positive Energie von der Bühne. Mein Plan ist es, das beizubehalten und so lange wie möglich mit diesen Jungs zusammenzuarbeiten! Nächster Halt: Olympiastadion! Haha. Das wird definitiv mehr als nur das Projekt für eine Platte sein… wir arbeiten bereits an Musik für Album #2.

Sänger und Gitarrist Rocky Votolato (M.) mit seinen Bandkollegen Rudy Gajadhar (Schlagzeug, l.) und Steve Bonnell (Bass).
CRAZEWIRE: Du wurdest mit den Worten zitiert, dass du nach einem neuen Kanal suchtest, um dich auszudrücken und dass möglichst laute und verzerrte Gitarren das Einzige waren, das für Dich wirklich Sinn ergab. Wie viel von „The Quiet Year“ folgt demnach einem bewussten Konzept und wie viel ist kreativer Prozess, Intuition oder sogar Zufall?
Rocky: Das alles ist zu einhundert Prozent ein kreativer Prozess, Intuition und eine Schöpfung aus dem Bedürfnis nach Katharsis und Heilung gewesen. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum etwas so Rohes dabei herauskam. Alles ist in zwei zweiwöchigen Perioden geschrieben worden. Ich musste diese Songs einfach rausbringen.
CRAZEWIRE: Deine Musik ist hier mehr denn je ein Mittel zur Verarbeitung. Inwieweit ist „The Quiet Year“ das Ergebnis eines Heilungsprozesses, und inwieweit ist es eine Momentaufnahme, ein Spiegel für einen andauernden inneren Dialog?
Rocky: Ich denke, dass kreative Expression und das Schaffen von Kunst jeglicher Art immer der Verarbeitung dienen. Ich denke, das Album ist tatsächlich eine Momentaufnahme dieser Zeit meines Lebens. Gleichzeitig ist es eine liebevolle Eulogie für mein Kind Kienan, das ich immer noch jeden Tag vermisse. Und so wird es für mich auch zu einem fortlaufenden Dialog. Ich bin wirklich dankbar, dass ich die notwendigen Mittel hatte, um den Schmerz zu verarbeiten und weiterzumachen. Und ich bin auch unglaublich dankbar dafür, dass es Menschen gibt, die diese Musik jetzt hören und sie bereits in ihr Leben lassen. Ich wünschte, jeder, der mit tiefer Trauer und traumatischem Verlust zu kämpfen hat, könnte sich solcher Hilfsmittel bedienen und darin Heilung finden, wie ich es konnte.
CRAZEWIRE: Wir sind ungefähr gleich alt, und in meiner Rezension zu diesem Album schrieb ich, dass sich Suzzallos Musik für mich wie eine nostalgische, fast wehmütige Reise zurück zum Alternative Rock vergangener Jahrzehnte anfühlt. Würdest Du dem zustimmen? Und siehst Du Parallelen zwischen dieser musikalischen Rückbesinnung und der verzweifelten Sehnsucht nach Vergangenem und Vertrauten, die in Deinen Texten so sehr spürbar ist?
Rocky: Ja, absolut! Du beschreibst das sehr gut, und ich bin so froh, dass Du das so empfindest! Genau das war es, was ich mit dieser Band für mich selbst schaffen wollte, und ich habe sehr gehofft, dass das auch für andere der Fall sein würde. Ich sehne mich nach jenen Tagen, in denen mir die Welt menschlicher erschien… sie war schon immer ein beschissener Ort, um ehrlich zu sein, aber in Seattles damaliger Punk-Hardcore- und Alt-Rock-Szene, in der ich aufgewachsen bin, war etwas Besonderes los. Es gab das Gefühl von Gemeinschaft, Solidarität und Reinheit. Ich möchte nicht, dass das verloren geht, und ich möchte diese Tradition fortsetzen, solange ich kann. Suzzallo ist für mich ein Fenster in die Vergangenheit, und zwar auf eine sehr gute Art und Weise.
CRAZEWIRE: Als Vater eines 18-jährigen Sohnes trifft mich alles auf dem Album so direkt, dass selbst Dinge, die in albernen Liebesliedern einen kitschigen Beigeschmack gehabt hätten, hier direkt ins Herz gehen. Gab es Momente, in denen Du an dieser Offenheit gezweifelt hast? Momente, in denen Du Dich gefragt hast, wie die Dinge draußen ankommen würden?
Ich habe nicht eine Sekunde daran gezweifelt. Um ehrlich zu sein, habe ich es noch nicht einmal in Betracht gezogen. Das war alles zu real, als dass es mich hätte kümmern können, was andere darüber denken. Das Album ist real und ehrlich, und das war mir das Wichtigste. Es ging ums Überleben und ich bin einfach nur dankbar, dass ich noch stehe und singen und spielen kann.
CRAZEWIRE: In einem tollen Gespräch mit unserem Kollegen Batti von „Chateau Disaster“ hast du Fugazi, Jawbreaker und Drive Like Jehu als große persönliche Einflüsse genannt. Findest du zeitgenössische Gegenstücke? Wer bereichert deinen Alltag derzeit musikalisch?
Rocky: Ja! Es war toll, mit Batti zu plaudern, er ist so ein toller Typ. Und ja, ich liebe diese Bands auf jeden Fall und denke, sie sind wahrscheinlich die drei, die meine musikalische DNA in den prägenden Jahren am meisten geformt haben. Für zeitgenössische Gegenstücke bin ich dagegen vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner, haha. Ich bin nicht mehr so gut auf dem Laufenden, was neuere Rockmusik angeht, aber hier sind ein paar Künstler, die ich absolut liebe und von denen ich denke, dass sie immer noch fantastische Musik machen:
The Cure – das neue Album „Songs of a Lost World“ ist der Wahnsinn! Wie gut es ist! Und es klingt für mich so frisch. Es fühlt sich außerdem an wie ein Cure-Album, das auch in den 1990ern hätte gemacht werden können.
Aurora – sie ist eine Popkünstlerin aus Norwegen und eine meiner Lieblingssängerinnen! Ihre Stimme ist so rein und schön und sie hilft den Menschen, bei sich selbst zu bleiben.
The Mountain Goats – John Darnielle ist eine Naturgewalt und alles, was er macht, ist künstlerisch interessant und so verdammt gut.
Nick Cave – er ist ein weiterer Künstler, der ein Kind verloren hat (zwei sogar) und der seine Trauer auch in seiner Musik verarbeitet. Sein neuestes Album „Wild God“ ist ein absolutes Meisterwerk und ich kann Dir nur empfehlen, reinzuhören, falls Du es noch nicht kennst.
CRAZEWIRE: Um zum Abschluss den Bogen zum Einstieg zu spannen: Suzzallo wird also keine Eintagsfliege bleiben. Kann denn auch Europa in naher Zukunft auf eine Suzzallo-Clubtournee hoffen?
Rocky: Genau, wenn ich ein Wörtchen mitzureden habe, werden wir auf jeden Fall weiter Musik machen! Und ich würde mir nichts mehr wünschen, als eine Europatournee für diese Band zu starten! So Gott will, wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis das passiert. Drücken wir die Daumen.
CRAZEWIRE: Ganz lieben Dank Rocky, sowohl für Deine Zeit und als auch für Deine Kunst.
Rocky: Vielen Dank, Karsten! Danke für das Interview und für die aufmerksamen Fragen… und sorry nochmal für die Verzögerung. Der Zeitplan für Veröffentlichung, Shows und Versand von Kickstarter-Paketen in der letzten Woche hat mich etwas überfordert. Vielen lieben Dank für Eure Geduld! Ich hoffe, wir sehen uns, wenn wir auf Tour kommen.