Xmal Deutschland – Gift – The 4AD Years

Die Hamburger Post-Punk-Band Xmal Deutschland gilt als eine der Wegbereiterinnen des Gothrock. Anlässlich des Triple-Vinyl-Releases „Gift – The 4AD Years“ verabredete sich Sven mit Sängerin Anja Huwe zum Plausch über John Peel, Malerei und Tourpläne.

Im Jahr 1980 als All-Girl-Group gegründet, war die Formation seit mehr als drei Dekaden nicht mehr aktiv. Nun veröffentlicht sie mit „Gift – The 4AD Years“ eine Retrospektive ihrer beiden ersten Longplayer „Fetisch“, „Tocsin“ und aller damit korrespondierenden EP-Tracks, die nun endlich auch wieder auf Vinyl erhältlich sind.

Zeitlos dunkle Goth-Gewässer
Neben den Herzen ihrer alteingeschworenen Fan-Gemeinde dürfte diese frühe Werkschau auch die eines jüngeren Publikums höherschlagen lassen, klingen die insgesamt 24 Songs des Albums doch nach zeitlos dunklen Goth-Gewässern, die den Mythos dieser Band in musikalischer Tradition von Artists wie Bauhaus, The Birthday Party und Joy Division einmal mehr untermauern. Der rohe und pulsierende Sound Xmal Deutschlands, garniert mit Frontfrau Huwes mitunter kühl wirkendem Gesang samt deutschen Texten, hat dabei bis heute nichts an Faszination verloren.

Das Ur-Lineup der Band bestand damals neben Anja Huwe (zuerst Bass, dann Vocals) aus Manuela Rickers (Gitarre), Fiona Sangster (Keys), Caro May (Drums) und Rita Simonsen (ursprünglich Vocals, dann Bass, den ab 1981 Wolfgang Ellerbrock übernahm) – allem voran in den Anfangsjahren Xmal Deutschlands gab es wechselnde Besetzungen am Schlagzeug. 1990 löste sich die Post-Punk-Formation dann auf.

Crazewire: Hallo Anja! Wie hat es sich angefühlt, sich für das neue Triple-Vinyl-Set von Xmal Deutschland nach so vielen Jahren vermutlich erstmals wieder intensiv mit der Musik zu beschäftigen, die Du als junger Mensch gemacht hast?

Anja: Es war einfach mein Wunsch, dass diese Musik endlich wieder rauskommt. Denn schließlich ist sie meine Geschichte. Entstanden ist die Idee dazu bereits vor der Covid-Pandemie. Eine neue, jüngere Generation des Labels 4AD hat die Relevanz von Xmal Deutschland, aber auch anderen prägenden Bands wie Dead Can Dance, alsdann erkannt und so wurde schlussendlich diese schöne Vinyl-Box daraus. Es fasziniert mich, wie modern unsere Songs auch heute noch klingen.

Foto: Kevin Cummins // Xmal Deutschland, Hamburg, 1987

Crazewire: Wie war das damals als All-Girl-Band in der noch stark von Männern dominierten Musikindustrie? Es war ja noch lange nicht an der Tagesordnung, mit einer reinen Frauen-Formation an den Start zu gehen – obgleich das seinerzeit von Euch wahrscheinlich nicht als feministisches Statement gedacht war.

Anja: Genau – das war tatsächlich eher Zufall. Wir trafen uns in Hamburg bei Konzerten und in Clubs, als Musik und die spezielle Form der solchen damals für uns Bedeutung erlangten. So haben wir uns kennengelernt und alles Weitere hat sich dann einfach ergeben. Für uns war das Label Mädchenband ja auch nie ein Thema – das haben uns andere verpasst. Es war uns immer wichtig, dies auch nicht zu bedienen oder gar zu betonen. So haben wir zum Beispiel auf Bandfotos, egal ob wir mit Kevin Cummins oder Anton Corbijn zusammengearbeitet haben, immer großen Wert daraufgelegt, eine gewisse Distanz auf den Bildern zu wahren. Aber Du hast Recht: Wir mussten uns manchmal schon ein bisschen was anhören und uns ganz schön behaupten. Da haben wir vor Auftritten dann auch mal gesagt: „Passt besser auf, denn wir fegen euch einfach weg. Und zwar jetzt gleich (lacht).“

Crazewire: Euer Sound, den man rückblickend gut und gern als Post-Punk bezeichnen darf, fand – trotz Eures heutigen musikalischen Status auch hierzulande – allem voran in England großen Anklang. Dort habt Ihr mit Eurer Single „Incubus Succubus“ erstmals ein größeres Publikum gefunden. Wie erklärst Du Dir diese Liebe auf den ersten Beat?

Anja: BBC-Radio-DJ John Peel war ja eigentlich der erste, der uns spielte – und er hatte damals großen Einfluss darauf, was angesagt war. Er hat uns dann zu sich nach London eingeladen, um eine Albumsession mit ihm aufzunehmen (im November 1982, zur ersten von insgesamt vier Peel-Sessions; Anmerkung des Autors). John hat sofort erkannt, dass unsere, ich nenne sie mal merkwürdig teutonische, leicht androgyne Aura, in England sehr gut ankommen würde. Und er behielt Recht: Die Presse fiel ja im positivsten Sinne des Wortes regelrecht über uns her und die Fans liebten uns.

Crazewire: Glaubst Du, dass Eure deutschen Lyrics einen besonderen Anteil an diesem Erfolg hatten, da sie sich so gut in Euren Sound fügten – ähnlich, wie das etwa bei den Elektro-Pionieren Kraftwerk der Fall war beziehungsweise ist?

Anja: Oh ja. Denn das englische Publikum hat uns definitiv nicht verstanden. Und selbst wenn die Menschen ins Wörterbuch geschaut haben, haben sie dort meine Worte eher nicht so leicht entdecken können. Weil ich halt häufig auch besondere Begriffe wählte, die eher ungewöhnlich waren. Was die englischen Fans aber besonders gut verstanden und erfassten: die Stimmung in unserer Musik und in unseren Liedern. Sie liebten unseren Spirit und unsere Art der Non-kommunikativen Performance. Und ich glaube auch unsere rare, mysteriöse Appearance. Im legendären Batcave (einer wöchentlichen Londoner Clubnacht, die mit als Wiege des Gothrock gilt; Anmerkung des Autors) sind wir beispielsweise nie gewesen – entgegen aller hartnäckigen Pressegerüchte (lacht). Stattdessen sind wir damals etwa viel lieber ins Kino gegangen.

Crazewire: Du bist ja nach beziehungsweise neben der Musik auch als Malerin aktiv gewesen und das auch weiterhin – inwieweit unterscheiden sich beide Kunstformen voneinander und was vereint sie?

Anja: Die Gemeinsamkeit liegt im ästhetischen Ansatz. Musik und Farben bilden für mich gewissermaßen eine Einheit. Malen ist für mich lediglich eine andere Form der Musik, bestehend aus Pünktchen und Kreisen, aus denen ich dann Strukturen herausarbeite beziehungsweise erschaffe. Im Gegensatz zur Musik erfüllt mich die Malerei aber nochmal auf eine etwas andere Weise, da ich mit ihr ganz alleine, nur bei mir bin und mich nicht etwa in ein Bandgebilde fügen muss.

Mick Mercer

Crazewire: Wann reifte in Dir die Idee, Dich wieder verstärkt der Musik zu widmen? Du hast ja im letzten Jahr mit „Codes“ nach 35-jähriger Pause ein Solo-Album released, zu dem Deine ehemalige Xmal-Deutschland-Gitarristin Manuela Rickers auch ein paar ihrer unverkennbaren Riffs beigesteuert hat.

Anja: Musik war ja immer ein Teil meines Lebens. Ich habe regelmäßig Anfragen, etwa aus den USA und Lateinamerika, bekommen, wieder zu singen. Aber für mich war das eigentlich vorbei. Mit Xmal Deutschland habe ich Platten gemacht und bin damit in den Vereinigten Staaten, in Japan und Europa aufgetreten – unsere Geschichte war für mich auserzählt. Damals als junger Mensch, nach unserer Bandauflösung, kam für mich eine Solokarriere ebenfalls nicht in Betracht. Denn mir war bewusst, ich würde dafür einen zu hohen Preis zahlen – nämlich mich selbst. Das war es mir nicht wert. Und jetzt war die Zeit einfach reif dafür, es steckte in mir drin. Ich bin unabhängig und konnte völlig frei arbeiten, ohne jeden Druck. Zudem klinge ich heute kraftvoller denn je.

Als ich dann die Anfrage eines Doom-Metal-Musikers aus Tel Aviv erhielt, ob ich mir vorstellen könnte, etwas auf einen Track mit dem Titel „Schatten“ zu singen, der wiederum von einem Künstler aus Norwegen stamme, entwickelte ich irgendwann eine Verbindung zum Song und sang meinen Beitrag auf dem Handy ein. Das Ergebnis schickte ich an meine Freundin Mona Mur (aus Hamburg stammende Musikerin und Produzentin; Anmerkung des Autors), die hellauf begeistert davon war. Das war die Initialzündung und daraus entwickelte sich mein Longplayer „Codes“ – ohne, dass ich das eigentlich wollte (lacht).

Crazewire: Gibt es Pläne, anlässlich des aktuellen Xmal-Deutschland-Releases mit den Songs Deiner ehemaligen Band live aufzutreten und pflegt Ihr noch Kontakt miteinander?

Anja: Ja, ich habe noch zu allen Kontakt. Aber ich bin als Musikerin aktiv und habe deshalb so ein bisschen das Ruder für den Release übernommen. Bei meinen Headlining-Shows als Solo-Künstlerin in Den Haag und Paris habe ich mit meiner Band auch bereits Lieder von Xmal Deutschland in adaptierten Versionen gespielt, da „Codes“ ja einen etwas elektronischeren Sound hat. Das werden wir in diesem Jahr fortführen: Wir treten auf verschiedenen europäischen Festivals, im Herbst dann in England auf und spielen vermutlich zum Ende des Jahres hin auch Gigs in ein paar deutschen Konzert-Hotspots – auf all das freuen wir uns.

Crazewire: Wir uns auch, liebe Anja – vielen Dank für unsere Unterhaltung!


Band: Xmal Deutschland
Album: Gift – The 4AD Years
VÖ: 09.05.2025
Label: 4AD / Beggars