The Cure – Songs Of A Lost World

Gothrock-Ikonen The Cure veröffentlichen am 1. November 2024 nach 16-jähriger Reifezeit ihr neues Studiowerk „Songs Of A Lost World“ – und die schier endlose Warterei hat sich gelohnt. Das neue Album der 1976 im englischen Crawley als Malice gegründeten Band ist gnadenlos gut und fesselt vom ersten bis zum letzten Ton.

The Cure haben mit „Songs Of A Lost World“ ein altersadäquates Masterpiece erschaffen, das sich so ausdrucksstark mit der Sterblichkeit auseinandersetzt, wie es selten zuvor von irgendwem zu hören war – allem voran deshalb, weil Bandleader und Sänger Robert Smith seine Gefühle auf dem Longplayer unmissverständlicher denn je ausdrückt. Und dessen Schönheit darin begründet liegt, dass er uns daran erinnert, das Leben und die Liebe zu genießen, solange wir nur können.

Foto: Universal Music

„Live From The Moon“
Für die Ankündigung ihrer von der Community so heiß ersehnten neuen Platte hatten sich Cure-Mastermind Rob Smith und seine Kollegen etwas wirklich Hübsches ausgedacht: Im Schaukasten des Pubs „The Rocket“ ihrer Heimatstadt, der mittlerweile „The Railway“ heißt und wo die Band ihren allerersten Gig spielte, haben die Legenden des Dark Wave vor einigen Wochen ein Plakat aufhängen lassen, das neben dem Titel des Albums auch dessen Release-Date (das in der christlichen Welt übrigens den Trauermonat einläutet) verriet – eine wundervolle Hommage an die Wurzeln der Band und eine tolle Geste an den Club.

Die Veröffentlichung der LP, die laut Smith ursprünglich den Arbeitstitel „Live From The Moon“ trug, zog sich über mehrere Jahre hin und wurde das erste Mal 2019 zum Thema. „Wenn ich eins bedauere, dann, dass ich damals überhaupt etwas darüber gesagt habe“, so der Sänger auf den offiziellen Band-Socials Ende September dieses Jahres, „das hätte ich wirklich bleiben lassen sollen – denn wir hatten gerade erst damit begonnen, am Album zu arbeiten.“

Die „Songs Of A Lost World“ sind allesamt vom Cure-Frontmann geschrieben und arrangiert worden. Gemeinsam mit Paul Corkett (der als Co-Produzent bereits bei „Bloodflowers“ aus dem Jahr 2000 mit von der Partie war) hat er sie produziert und gemixt. Das Cover-Artwork stammt von Andy Vella – es ziert „Bagatelle“, eine Skulptur von 1975 des slowenischen Künstlers Janez Pirnat.

Rockfield Studios
Aufgenommen worden sind die insgesamt acht Tracks auf einer Albumlänge von rund 50 Minuten in den legendären Rockfield Studios in Wales, wo die Simple Minds einst „Real To Real Cacophony“, Oasis „(What’s The Story) Morning Glory?“ und Coldplay ihr Debüt „Parachutes“ einspielten. Neben Robert Smith (Gesang und Gitarre) zeichnen Simon Gallup (Bass), Jason Cooper (Drums), Reeves Gabrels (Gitarre) und Roger O’Donnell (Keyboards) für die Musik auf „Songs Of A Lost World“ verantwortlich.

Mit dem Album-Opener „Alone“ gab es die erste Kostprobe der LP bereits vergangenen September zu hören – als weltweite Exklusiv-Premiere und in bester Old-school-Manier: Das Lied erhielt sein Airplay in der BBC Radio 6 Music Show von Mary Anne Hobbs. Der Track sei laut Smith inspiriert von Ernest Dowsons Gedicht „Dregs“ und der kreative Türöffner für „Songs Of A Lost World“ gewesen.


Unheilvolle Stimmung

Die eindringlichen Vocals des Cure-Sängers, die auf „Alone“ erst nach gut drei Minuten einsetzen, liegen dabei über kräftigen, schneidenden Gitarrenriffs, dem pulsierenden Bass von Longtime-Bandmember Simon Gallup und scheppernden Industrial-Schlagzeugbeats, die in Summe eine unheilvolle Stimmung erzeugen.

Das Lied handelt vom Gefühl des Verlorenseins und erinnert direkt zu Beginn des Longplayers mit seinem grüblerisch-dunklen Charakter an den musikalischen Grundtenor der beiden Gothrock-Band-Meisterwerke „Pornography“ aus dem Jahr 1982 und „Disintegration“ (1989). Ein Eindruck, der sich im weiteren Albumverlauf verfestigt und gewiss nicht nur die Herzen der Cure-Community höherschlagen lässt.

Robert Smith und Bandmates hatten diesen melancholischen Slow-burner bereits regelmäßig als Starting-Track ihrer 2022/2023er-Tour „Shows Of A Lost World“ gespielt, die sich über 33 Länder vor mehr als einer Million Zuschauenden erstreckte. Bis zu sechs neue Songs, von denen es dann schlussendlich fünf auf das Album schafften, standen damals Abend für Abend auf der Setlist und boten den begeisterten Fans einen bittersüßen Vorgeschmack auf die neue Platte.

Herzzerreißendes Stück
Darunter neben „Alone“ und „A Fragile Thing“ (der weiteren Vorab-Auskopplung), auch „I Can Never Say Goodbye“, „End Song“ und „And Nothing Is Forever“, der zweite Track auf „Songs Of A Lost World“. Ein herzzerreißendes, mit Streichern untermaltes Stück und dem großartigen Smith am Piano, das von Liebe sowie der Erkenntnis erzählt, dass nichts ewig währt und den hoffnungsvollen Wunsch inne trägt: „Promise you’ll be with me in the End.“

Robert Smiths berührendes Klavierspiel ist ebenso auf dem dritten Albumsong „A Fragile Thing“ zu hören, der von der Zerbrechlichkeit des Menschseins und sämtlichen Entscheidungen handelt, die es dabei zu treffen gilt. Und wer auf dem neuen Cure-Longplayer eingängige Pop-Hooks sucht, der wird hier trotz aller lyrischen Melancholie fündig.

Der darauffolgende „Warsong“ hingegen kommt musikalisch deutlich sperriger daher – der The-Cure-Sänger scheint sich darin mit einem langwierigen zwischenmenschlichen Konflikt zu beschäftigen. Und vielleicht auch mit der Hoffnung auf das, zu was wir alle in den besten Versionen unserer selbst noch werden könnten.

Foto: Sam Rockman

Wütender Noir-Rocker
Wütend wie ein Teenager wirkt Smith in „Drone:Nodrone“, einem Noir-Rocker mit dazu passenden dröhnenden Gitarren und Ohrwurm-Qualitäten, in dem das Band-Mastermind seine spürbare Verzweiflung über unsere moderne Welt und das geradezu unbändige Chaos, das in ihr regiert, anklagend zum Ausdruck bringt.

Der hörbare dumpfe Schmerz, mit dem der Cure-Frontmann in „I Can Never Say Goodbye“ um seinen großen Bruder Richard trauert, der ihm als Kid das Gitarrenspielen bei- und die Musik als solche nahegebracht hat, ist dann schlichtweg ergreifend: „Something Wicked this Way comes“ – unaufhaltsam.

Es ist der Standout-Track der Platte und Rob Smith unternimmt gemeinsam mit seiner Band alles, um die Emotionen zu transportieren, die wir durchleben, wenn uns jemand verlässt, den wir innig lieben. Mit einem Jimi-Hendrix-artigen Solo zollt er dabei seinem Bruder, der den einflussreichen Gitarren-Großmeister aus Seattle zeit seines Lebens verehrt hat, seinen künstlerischen Tribut.

Den zweiten poppigen Album-Moment neben „A Fragile Thing“ liefert dann „All I Ever Am“, das eine spannende Geschichte davon erzählt, stets im Moment sowie beständig bei sich selbst zu bleiben. Das eingängige Stück spendet vor dem rauschenden LP-Finale noch einmal den zarten Hauch von etwas Licht inmitten aller musikalischen cure’schen Finsternis.

Majestätische Melancholie
Auf den nun folgenden, opulenten Schlussakkord der Platte „End Song“ kann die Zuhörenden trotzdem nichts angemessen vorbereiten. Nach einem im positivsten Sinne instrumental polternden, hypnotischen sechsminütigen Intro besingt Robert Smith in weiteren gut vier Minuten zusammenfassend sein Leben und wie es sich anfühlt, dessen Endlichkeit abzusehen: „I’m outside in the Dark wondering how I got so old“. Laut Cure-Sänger war der Track schon immer als Album-Closer vorgesehen und schließt den Kreis zum Opener „Alone“ auf wunderbare Weise, weil er erzählerisch zum Ausgangspunkt zurückkehrt, an dem wir alle zu Staub werden.

Mit „Songs Of A Lost World“ stellen The Cure einmal mehr unter Beweis, dass sie wahrhafte Meister majestätischer Melancholie sind – und weiterhin bestrebt, die Überschneidungen von Leben, Verzweiflung, Liebe, Hoffnung und Tod zu erforschen, die oft allesamt auf so komplexe und mitunter rätselhafte Weise miteinander verwoben sind. Diese Cure-Platte wird zusammen mit den besten der Band nun für immer in einer Reihe stehen.

Foto: Universal Music

Weitere LPs in der Mache
Und wie Robert Smith in einem Video-Interview auf den offiziellen Band-Kanälen Mitte Oktober 2024 verraten hat, könnte es schon in näherer Zukunft noch mehr neue The-Cure-Alben geben: Angeblich sollen gleich zwei weitere LPs folgen, von denen eine bereits nahezu fertig sei. Lassen wir uns einfach überraschen.

Darüber hinaus kündigte der Sänger an, mit seiner Band „ab Herbst 2025 wieder live auf der Bühne zu stehen“. Zudem wolle er am Cure-Dokumentationsfilm weiterarbeiten, so Smith. Und im Jahr 2029 solle dann auch Feierabend für ihn und seine Kollegen sein: „Dann werde ich 70 Jahre alt und unser Debütalbum feiert seinen 50. Geburtstag. Wenn ich es so weit schaffe, dann war’s das.“

Wie es auch immer kommen mag – ihren Platz im Musik-Olymp kann den unumstrittenen Göttern des Gothrock sowieso nichts und niemand mehr nehmen.

Launch-Show im Freestream
Wer sich das neue Album „Songs Of A Lost World“ anhören und die großartigen Live-Qualitäten von The Cure erleben möchte:

Die Band spielt am Abend des 1. November eine Album-Launch-Show vor einem kleinen Publikum im Londoner Troxy, die weltweit im Free-Livestream 20 Uhr örtlicher Zeit H I E R ausgestrahlt wird.

Band: The Cure
Album: Songs Of A Lost World
VÖ: 01.11.2024
Label: Universal Music

Tracklist:
Alone
And Nothing Is Forever
A Fragile Thing
Warsong
Drone:Nodrone
I Can Never Say Goodbye
All I Ever Am
End Song