Pressure Air Festival –  Druckluft, Oberhausen (22.11.2025)

Das Druckluft, eines der ältesten selbstverwalteten Jugend- und Kulturzentren Deutschlands, feiert 46. Geburtstag und hat dazu gleich sechs Bands geladen.
Für viele Beteiligte ist es eine Art Familienfeier, oder „Klassentreffen in Oberhausen“, wie Jörkk Mechenbier es an den Abend immer wieder nennt. Denn nicht nur mit dem Laden, den man wohl unter die sympathischsten Locations von NRW zählen darf, verbindet die meisten der Acts viel – auch untereinander gibt es so einige Verknüpfungen.

Love A und Herrenmagazin sind seit langem befreundet, Mitglieder beider Bands finden sich in der Postpunk-Supergroup Trixsi wieder. Herrenmagazin haben zudem laut eigener Aussage nirgendwo so oft gespielt wie im Druckluft. Angelika Express wiederum haben mit Meche von Love A schon einen Song veröffentlicht, und die Larrikins und FRAUPAUL teilen sich das Label (Dackelton). Die Simple Strickst wiederum, die an dem Abend eröffnen dürfen, spielen der sehr glaubhaften Legende nach häufiger im Druckluft, als dass sie proben.

Entsprechend finden sich trotz dem an widrigen Umständen von Minusgraden bis katastrophalen ÖPNV-Zuständen nicht gerade armen Abend direkt zum Start einige wackere Punkfans, die sich auf ein betreutes Trinken mit diesem lokalen Band-gewordenen Running Gag freuen. Auch die Larrikins haben trotz Druckluft-Premiere ein paar textsichere Menschen angezogen – kein Wunder, ist die Band doch auch schon seit 2002 aktiv. Da mich persönlich der Sound, der sehr an die mit ihnen seit Anfangstagen befreundeten Feine Sahne Fischfilet erinnert, nicht so abholt, nutze ich den Moment für mein persönliches Klassentreffen, schließlich findet sich unter anderem auch Crazewire-Gründer Lasse heute am Love A-Merchtisch.

Angelika Express feat. Jörkk Mechenbier

Als dritte Band betritt kurz darauf das Kölner Urgestein Angelika Express die Bühne. Zuletzt zum Trio geschrumpft, gibt die Band um Sänger und Gitarrist Robert Altes und ganz Neues, vom brandaktuellen Album „Verzerrer“, zum besten. Bemerkenswert ist dabei vor allem die Energie, mit der die ja nun auch nicht mehr ganz junge Band durch das Set heizt – Bassistin Annick hüpft einfach das komplette Konzert durch, was den zwischendurch neben mir auftauchenden Meche zu einem „Wie kann man nur so fit sein?!“ veranlasst. Robert wirbelt die Gitarre herum, als wäre es nichts, ohne dabei eine Sekunde beim Spiel aus der Ruhe zu kommen. Das Trio, komplettiert mit Drummer Tscherno, ist perfekt aufeinander eingespielt und hat sichtlich Spaß bei der Sache, auch wenn die Ansagen manchmal etwas ungelenk wirken. Mir machen heute vor allem die neuen Songs Spaß, auch wenn dem Publikum der unvermeidliche 2003er Hit „Geh doch nach Berlin“ die meisten Reaktionen entlockt. Als naheliegende, aber schöne Überraschung kommt Meche noch für den gemeinsamen Song „Vinylbeton“ noch auf die Bühne. Klassentreffen halt.

Das Punk-Trio FRAUPAUL aus Hamburg entert als nächste die Bühne, als einzige Band des Abends mit Einmarschmusik, was in dem Kontext vielleicht etwas deplatziert wirkt. Ich habe zuletzt 2023 ein Konzert der drei Musikerinnen gesehen, und die Professionalisierung, die mit dem steigenden Erfolg seitdem stattgefunden hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Inzwischen ist das Debütalbum „Hol mir die Sterne zurück“ erschienen und die Band hat gerade eine längere Tour hinter sich. Entsprechend sitzt jeder Ton, jede Bewegung, jeder gemeinsame Headbangmoment von Sängerin Lisa und Bassistin Mary – es ist eine einzige große Rock’n’Roll-Show. Das Publikum wird immer wieder einbezogen, manchmal zu Ruhe ermahnt, manchmal zu Mitsing-Spielen animiert – das ist zugegebenermaßen nichts für mich, aber die Oberhausener nehmen es an.

Love A

Der ohnehin inzwischen gut gefüllte Saal wird nochmal eine ganze Ecke voller, als Love A sich ankündigen. Möglicherweise hat der Klassentreffen-Charakter des Abends bei dem ein oder anderen Bandmitglied schon feuchtfröhliche Spuren hinterlassen, denn der Start des Konzertes fällt etwas unbeholfen aus. Nach einer kurzen Aufwärmphase spielt sich die Band aber frei und ballert dem Publikum einen Hit nach dem anderen um die Ohren. Von „100.000 Stühle leer“ über „Will und kann nicht mehr“ und „Trümmer“ bis „Nichts ist leicht“ lassen sie dem Publikum keine Pause zum Atmen. Die Leute nehmen es dankend an, brüllen die Texte mit und vor der Bühne startet ein Dauermoshpit, der Meche zu regelmäßigen Ermahnungen zur gegenseitigen Achtsamkeit animiert. Seine Band wiederum bittet er zwischendurch öfter um Balladen in der Setlist, da er bei den ganzen Brechern schnell aus der Puste kommt. Abliefern tut er aber trotz seines Zustandes und der fortgeschrittenen Uhrzeit beeindruckend konsequent. Die Band schließt wie gewohnt mit „Brennt alles nieder“, und das Publikum singt den Chor „Brennt alles nieder – Fickt das System“ noch lange, nachdem die Band nicht mehr spielt, was die Musiker sichtbar rührt.

Herrenmagazin

Um kurz nach 23:30 Uhr betreten Herrenmagazin die Bühne. Der Saal hat sich ob der fortgeschrittenen Uhrzeit inzwischen sichtbar geleert – ebenso wie beim Line-up ist auch der Altersdurchschnitt im Publikum für ein doch recht Punk-lastiges Festival eher hoch. Auch bei mir zeichnen sich inzwischen ein paar Müdigkeitserscheinungen ab – das hat sich aber ganz schnell erledigt, als die Hamburger ihr Set beginnen. Nicht nur haben sie mit Abstand den besten Sound des Abends, sie sind auch einfach eine fantastische Liveband. Egal ob die alten Hits wie „In den dunkelsten Stunden“ oder „Früher war ich meistens traurig“ oder neue Banger wie „Fragment“ oder „Alter Debütant“ vom 2025er-Album „Du hast hier nichts verloren“, die fast zehn Jahre Pause merkt man der Band einfach nicht an. Alles ist extrem tight gespielt, dabei mit einer sympathischen Natürlichkeit, an der sich nichts wie Show anfühlt. Im Publikum wird leidenschaftlich mitgesungen, die komplette Love A-Besetzung ist ebenfalls vor der Bühne versammelt, man hat das Gefühl, einen ganzen Saal mit breitem Dauergrinsen zu sehen, welches Sänger Deniz immer wieder spiegelt. Zwischendurch läuft ein sehr beseelter Lasse an mir vorbei und wirft mir ein „So eine geile Band“ zu, und ich kann nur völlig begeistert nicken.

Zum Schluss spielt Deniz noch zwei emotionale Solo-Zugaben, denen ich gerührt hinten im Saal lausche, der sich bereits sehr geleert hat, aber in dem immer noch gebannte Stille herrscht. Das war ein runder Abschluss und eine würdige Feierei eines wirklich außergewöhnlich schönen Ladens, den es hoffentlich noch lange geben wird.

Wer den Laden nicht kennt, sollte dringend mal vorbei kommen, zum Beispiel am 27.11.2025 zum Konzert von (den überaus großartigen) Amos the Kid, wo eine Kölner Singer-Songwriterin, die manchmal auch Konzertberichte schreibt, als Supportact dabei ist.