Orange Blossom Special 21 (02.-04.06.2017)
Okay, wenn man ein Baby zu Hause hat, muss man Kompromisse eingehen. Meiner hieß dieses Wochenende Freitag und Samstag nach Beverungen zum Orange Blossom Special, Sonntag nach Hause. So verpasse ich zwar Heim, Gurr und Immanu El, komme aber trotzdem in den Genuss eines der schönsten Festivals Deutschlands.
Der Freitag hingegen fängt mit einer absoluten Fehlentscheidung an. Mit Kollege Bastian von der Intro machen ich mich gegen 13:30 Uhr auf den Weg von Düsseldorf nach Beverungen – ohne darüber nachzudenken, dass ja Pfingstwochenende ist. Ergebnis: 4 Stunden Stau und eine Ankunft um 19:30 Uhr statt 15:30 Uhr. Und so beschränkt sich mein Freitagabend auf einige Bier und zwei Bands. Zum einen Louis Berry und zum anderen Annenmaykantereit. Letztere kommen zwar super beim Publikum an, erreichen mich Live aber noch weniger als auf Platte.
Der Brite Louis Berry hingegen kommt so dermaßen abgezockt rüber, dass einem Angst und Bange werden kann. Keine Ahnung wie alt der Gute ist, mit seinen Mitmusikern sieht er aber so aus, als ob er im vergangenen Jahr eine Schülerband gegründet hätte. Musikalisch ein absolutes Highlight. Den ganzen britischen Rockstar-Quatsch, hat man schon drauf, dazu ein paar wirklich gute Songs. Die Mischung aus Britpop und Garage begeistert mich zumindest so lange, bis Louis Berry die Akustik-Gitarre rausholt, dann wird es etwas beliebig. Ansonsten aber wirklich groß, was die Band da abliefert.
Da ich eigentlich als Musiker auf das Festival gebucht wurde, komme ich in den Genuss mir auch den Backstage-Bereich anzuschauen und mich mit Crew und Veranstalter zu unterhalten. Und ich muss sagen, dass ich selten ein so nettes und sympathisches Festival erlebt habe. Die gesamte Crew ist unfassbar nett, versucht den vielen unterschiedlichen Musikern gerecht zu werden und ist bemüht das familiäre des Festivals (es findet im Garten von Glitterhouse Records statt) auch allen anderen zu vermitteln. Stress? Fehlanzeige.
Davon profitieren auch Wayne Graham, die am Samstag um 11:30 Uhr (?!) bereits vor einem fast vollen Festivalgelände auftreten können. Für mich direkt das nächste Highlight, da dieser Country/Americana-Mix unfassbar relaxt dargeboten wird. Super Stimme von Sänger Kenny Miles, super Songs, super Start in den Tag. Christine Owman war mir hingegen viel zu anstrengend, während John Blek & The Rats besser als auf Platte, aber immer noch nicht ganz meine Baustelle sind.
Messer hingegen verstehe ich einfach nicht. Dieser Kunst-Touch mit Texten, die bestimmt einen tiefen Sinn ergeben (nur eben nicht für mich), bricht so ein bisschen mit dem restlichen Line-Up. Meine Baustelle ist das auf jeden Fall nicht. Dann schon lieber Moddi, ein blonder Singer/Songwriter, der das Rad jetzt auch nicht neu erfunden hat, aber mit einer wirklich schönen Stimme und einer Handvoll sehr guter Songs das Publikum zu begeistern weiß. Teksti-TV 666 habe ich leider verpasst. Den Namen sollte man sich aber merken. Die Finnen stehen mit fünf Gitarristen auf der Bühne und blasen damit das gesamte Festivalgelände um. Zumindest hinterlassen sie ein absolut geflashtes Publikum.
Ein schöner Kontrast dazu die Kanadier Wintersleep, die mich wiederum zu begeistern wissen. Der Indie-Folk-Rock der Band passt zur späten Abendstunde und lässt mich kurze Zeit wirklich an das Gute der Welt glauben. Da es auf dem Festivalgelände kein Empfang für Handy oder Internet gibt, erfahre ich vom Terroranschlag in London auch erst beim verkaterten Frühstück im Hotel. Eine Nachricht, die den am Abend zuvor gefassten Glauben wieder etwas erschüttert.
Dem Veranstalter dieses Festivals muss man am Ende jedoch ein Extra-Lob aussprechen. So liebevoll und freundlich habe ich Festivals selten erlebt. Natürlich ist das Orange Blossom mit seinen 2.500 Besuchern nicht Rock am Ring. Einige logistische Dinge sind somit auch besser umsetzbar. Trotzdem spürt man an jeder Ecke, wie viel Herzblut und Mühe hier investiert wurde. Ich bin Fan.
Foto: Simon Baranovski
Video: Wintersleep – „Spirit“