New Model Army – Köln, Palladium (16.12.23)
New Model Armys Weihnachtskonzerte im Kölner Palladium haben längst Tradition. Seit Jahrzehnten gibt sich die Band aus Bradford, Yorkshire hier unabhängig von sonstigen Tourplänen oder etwaigen Releases alljährlich die Ehre. Schon bei der 2013er Version durfte ich dabei sein und erlebte, dank des Supports der grandiosen Levellers, gleich zwei großartige Livesets an einem Abend. Wer Sullivan & Co. heute begleiten würde, blieb dagegen lange ein Geheimnis, in der Vorankündigung hatte es schlicht „New Model Army und Gäste“ geheißen.
Den Anfang macht die Donkeyhonk Company aus Bayern. Das Trio (E-Gitarre, E-Kontrabass und Drums) ballert gut gelaunt seinen Punkabilly-Blues-Mix ins Publikum. Der klingt manchmal wie eine Melange aus Mudhoney und den Stray Cats und manchmal wie Tom Waits auf Speed. Dabei hat die Band nicht nur sichtlich Spaß an dem was sie tut, auch das Publikum im schon ordentlich gefüllten Rund nimmt die Show dankend an. Dafür sprechen laute Anfeuerungsrufe, konsequenter Applaus nach jedem Stück, Lachen und Tanzen, nicht nur in den vorderen Reihen. Einen kleinen Spaß kann sich der Kontrabass spielende Bayer Pedl zum Abschied nicht verkneifen: „Viel Spaß mit New Model Army! Geht’s und macht’s die Wirte reich – es gibt hier gutes Bier…. äh… naja… also… Bier!“ Grundsympatisch die drei und ein lockerer Einstieg in den Abend.
Ein wenig bemühter wirkt da schon der Auftritt der Stuttgarter Indie-Punkrocker Schmutzki. Zum Einlauf gibt es kitschige Popmusik, die mit des Bassisten Worten „Mach die Scheisse aus!“ und dem nach kurzem Einzählen folgenden Opener zum Schweigen gebracht werden soll. Gleich während dieser Nummer gibt es dann eine von der Bassdrum begleitete Mitklatsch- und Mitsingpause – das muss man auch erstmal bringen. Und zwei Stücke weiter wird für „BÄM“ sogar eine Faustreck-Choreo mit dem Publikum einstudiert. Große Gesten, Junge Junge. Der Menge macht die Show der gut gelaunten Schwaben aber offensichtlich großen Spaß und kurzweilige und durchaus tight vorgetragene Songs wie „Wie beim ersten Mal“, „Mittelmäßigkeit“, „Positive Brutality“ oder „Beste Bar der Stadt“ werden gebührend abgefeiert. Mir ist das alles zu überdreht, zu klamaukig und zu belanglos, aber ich bin auch nicht Peergroup. Sicher bin ich mir aber: Schmutzki werden dieses Konzert als Erfolg verbuchen.
Es ist mittlerweile 21:45 Uhr als NMA-Bassist Ceri Monger unter frenetischem Jubel die Bühne des nun brechend vollen Palladiums betritt. Ihm folgen Schlagzeuger Michael Dean, Gitarrist Dean White und schließlich auch Frontmann und Mastermind Justin Sullivan. Nach freundlichem Armrecken zum Gruß und ohne weitere Umschweife startet die New-Model-Army-Show mit dem Titelsong des 2013er Albums „Between Dog and Wolf“, auf den unmittelbar „States Radio“ („Today Is A Good Day“, 2009) und mit „First Summer After“ auch die erste Singleauskopplung des für 2024 angekündigten neuen Albums „Unbroken“ folgen. Die Fans hängen von Beginn an an Sullivans Lippen und singen jede Zeile inbrünstig mit.
Insgesamt werden New Model Army am heutigen Abend in einem zweistündigen Set Stücke von 13 (!) verschiedenen Studioalben zum Besten geben. Von den frühen „A Liberal Education“ („Vengeance“, 1984) und „Frightened“ („No Rest For The Wicked“, 1985), über „White Light“ („The Love Of Hopeless Causes“, 1993) oder „Wonderful Way To Go“ („Strange Brotherhood“, 1998) bis hin zu „Winter“ („Winter“, 2016), „I Am What I Am“ („From Here“, 2019) oder dem noch unveröffentlichten „Coming Or Going“ („Unbroken“, 2024) ist aus wirklich jeder Schaffensphase der Band etwas dabei. Ich selbst komme, neben „Get Me Out“ und „Purity“ (beide „Impurity“, 1990), vor allem bei den Zugaben „Ballad Of Bodmin Pill“, „Green and Grey“, „I Love The World“ (alle „Thunder And Consolation“, 1989) und „Poison Street“ („The Ghost Of Cain“, 1986) auf meine Kosten. Tausende Arme gen Hallendecke, alles singt, alles tanzt. Herrlich!
Schon in Vorbereitung auf den gestrigen Abend ist mir noch einmal deutlich geworden: Außer der „Thunder and Consolation“-LP kannte ich dank des Live-Albums „Raw Melody Men“ und der Best of… „History“ vielleicht noch das Wesentliche von „The Rest for the Wicked“, „The Ghost of Cain“ und „Impurity“ – aber spätestens mit „The Love of Hopeless Causes“ war es um den direkten Einfluss von Justin Sullivan und seiner Band auf mich geschehen. Die Veröffentlichungen zwischen 1998 und 2019 habe ich allenfalls mit einem Auge zur Kenntnis genommen.
Nicht so die übrigen 3.999 Besucher im ausverkauften Palladium. Egal ob alte Hits oder neue Songs und egal ob Follower mit Vikings-Zopf oder Normalo im Jack Wolfskin-Dress: Jede und Jeder scheint hier Die-Hard-Fan und zu jedem Zeitpunkt ganz und gar mit ihrer oder seiner Band verbunden. Ein gut gelaunter und äußerst freundlicher Sullivan führt Kollegen wie Publikum souverän durch einen stimmungsvollen Abend und ist dabei ganz bei sich. Es gelingt ihm ohnehin seit Jahrzehnten hervorragend, sein Lebenswerk New Model Army relevant und nicht nur am Leben zu halten, und es zudem zu keinem Zeitpunkt wie das Projekt eines Solokünstlers wirken zu lassen. (Sehr schön nachvollzogen übrigens in der WDR Doku „From Here – 40 Jahre New Model Army“)
Das war hier heute ein großer Abend. Auch ohne Vagabonds und Geige.
(Text & Foto) Karsten Hufschlag