Jane’s Addiction – Carlswerk Victoria, Köln (25.06.2024)
Wenn ein Hochkaräter vergangener Tage ankündigt, mehr als 30 Jahre nach seiner Prime wieder in Originalbesetzung auf Tour zu gehen, kann das bei aller Vorfreude auch für Magengrummeln sorgen. Viel zu schnell gehen solche Aktionen nach hinten los, und viel zu oft verspielen alte Helden innerhalb eines Abends Unsummen an Kredit. Doch nicht heute. Heute erleben wir Jane’s Addiction, die Urväter des US-Alternative-Rock im Kölner Carlswerk Victoria in altem Glanz und voller Pracht.
Die Mitte der 1980er-Jahre in Los Angeles von Perry Farrell (Gesang), Dave Navarro (Gitarre), Eric Avery (Bass) und Steven Perkins (Schlagzeug) gegründeten Jane’s Addiction konnten bereits mit ihrem selbstbetitelten Debüt, einer Live-Aufnahme von 1987, szenenweite Achtungserfolge erzielen, ehe ihnen mit den Major-Releases „Nothing’s Shocking“ (1988) und „Ritual De Lo Habitual“ (1990) begleitet von etlichen Grammy-Nomminierungen und einem MTV Music Award der endgültige Durchbruch gelang. Songs wie „Jane says“, „Been Caught Stealing“, oder „Mountain Song“ sind längst Klassiker – ebenso das 1991 zur Auflösung der Band von Sänger und künstlerischem Mastermind Perry Farrell als Abschiedstour ins Leben gerufene Lollapalooza-Festival. Im Zuge obligatorischer Reunions folgten in den Zweitausendern zwei weitere Alben in gleicher Besetzung („Strays“ in 2003 und „The Great Escape Artist“ in 2011), ehe es schließlich ruhig wurde um die Band aus Hollywood.
Jetzt sind sie also wieder da – und an diesem warmen Dienstagabend in Köln zeigt sich, dass die Jahrzehnte auch an ihrem Publikum nicht spurlos vorüber gegangen sind. Unter den Gras- und Bierschwaden, die durch den Innenhof vorm Carlswerk Victoria ziehen, sammelt sich ein äußerst entspannter Mob gut jenseits der Vierzig – und wir fragen uns auf dem Weg in die Halle, ob wir hier womöglich zu den Jüngeren zählen, oder ob uns doch nur wieder falsche Selbstwahrnehmung einen Streich spielt. Wir einigen uns gerade auf den ollen T-Shirt-Spruch „It’s weird being the same age as old people“, als mit den sphärischen Klängen von „Up The Beach“, dem Opener des 1988er Meisterwerks „Nothing’s Shocking“ das Konzert beginnt.
Sofort ist klar, dass das hier heute klappen wird. Ein kompaktes, mit knapp 1.000 Menschen gut gefülltes Venue, ein Publikum, das von Beginn an da ist, ein satter Sound und eine Band die Bock hat und weiß, wie’s geht. Dazu eine Setlist, die das ganze Spektrum dieser außergewöhnlichen Gruppe präsentiert: Da sind die schwelgerisch-psychidelischen Chill-Nummern wie „Summertime Rolls“, „Jane says“ oder eben „Up The Beach“, zu denen man, wäre es nicht so heiß an diesem Abend, dem Nachbarn zum Schunkeln die Arme um die Schulter zu legen geneigt wäre. Da sind große, zehnminütige Rockbrecher wie „Kettle Whistle“ oder „Three Days“, mit minutenlangen Soloparts für Navarro, für Perkins und sogar für Avery. Und immer wenn es mir vielleicht nicht zu viel, aber doch genug des Rock ist, fährt mir wie beispielsweise mit „Ocean Size“ schon wieder der nächste Tanzflächen-Hit in die Beine.
Bereits nach einer halben Stunde kommt es zu einem ersten Höhepunkt: Nahezu unvermittelt („Please welcome our dear friend…“) betritt niemand Geringeres als Gitarrenvirtuose Tom Morello (Rage Against The Machine, Audioslave u.a.) die Bühne, um Sekunden später zu den Klängen des „Mountain Song“ gemeinsam mit Dave Navarro und dem Rest der Band schon jetzt das letzte bisschen Sauerstoff aus dem schwitzenden Club zu pressen. Die Menge ist längst aus dem Häuschen und feiert die Show frenetisch.
Zu recht, denn alle Beteiligten erweisen sich nicht nur als Meister ihres jeweiligen Fachs, sondern präsentieren sich auch im weiteren Verlauf des Sets als eingespielte Einheit, in der sich einer auf den anderen verlassen kann. Das gilt für die Rhythmussektion, aber auch und vor allem für Perry Farrell und Dave Navarro, das „Marr-Morrisey“-Pendant des Alternative-Rock. Farrell merkt man heute Abend dabei vielleicht am ehesten an, dass ihm Dinge früher einmal leichter gefallen sein mögen. Ein-, zweimal bricht die Stimme und nicht immer gelingt es ihm, den Takt zu halten. Und auch wenn seine Kurzdialoge mit dem Publikum zudem mehr von Herzlichkeit als von Tiefgründigkeit geprägt sind, leidet die Aura dieser Ikone unter alldem zu keinem Zeitpunkt. Und wenn er, wie zu Beginn und später zum Abschied mit seinem großen Fedora winkt, den er zum Abschluss wieder aufgesetzt hat, hat das schon etwas regelrecht Messianisches.
Nach einem Endspurt aus „Stop!“ und „Been Caught Stealing“ kommt es zum großen Finale, als sich Dave Navarro, Steve Perkins, Eric Avery und noch einmal Tom Morello allesamt mit Klöppeln bewaffnet am vorderen Bühnenrand an großen Trommeln niederlassen um Perry Farrell bei „Chip Away“, dem Closer ihres Debüts, zu begleiten.
Ein toller Abend vollgepackt mit schönen Momenten. Jane’s Addiction Musik, für die Led Zeppelin unter vielen oft als Pate bemüht werden und die mit ihrer kruden Mischung aus Rock, Funk, World und Psychedelic wiederum nicht zu überschätzenden Einfluss auf die Entwicklung von Subgenres wie Grunge oder Crossover hatte, mag heute ein wenig aus der Zeit gefallen scheinen. Wenn ich aber von der Crew so professionell, herzenswarm und on point in empfang genommen werde, betrete ich die Zeitkapsel jederzeit gerne.