SHELTER – KÖLN, LUXOR (15.04.2025)
Wenn Acts, die in der Jugend noch als ‚Die neue Band von …‘ die Runde machten, jetzt auf große Jubiläumstour gehen, weiß man, dass man alt ist. Und so bot die Feier zum 30-jährigen Release des Shelter-Albums „Mantra“ gleich auf mehreren Ebenen Gelegenheit zur Reflexion.
From Punk to Monk
Ray Cappo, der als Frontmann der legendären NYHC-Band Youth Of Today die amerikanische Straight Edge-Szene geprägt hat, wie wenige sonst, gründete mit Shelter 1990 eine Band, die seine große Leidenschaft Hardcore mit seinem neuen Lebenssinn Hare Krishna verband. Und während die ersten beiden Shelter-Alben „Perfection Of Desire“ (1990) und „Attaining The Supreme“ (1993) vielleicht noch eine mitunter holprige Mischung aus ursprünglichem Hardcore aus Washington D.C., Reno oder eben New York City und dem just in Entstehung begriffenen Post Hardcore waren, nahm man mit dem dritten Album „Mantra“ (1995) zwei weitere Jahre später (ähnlich übrigens wie CIV, die damals neue Band des gleichnamigen Frontmanns der YOT-Weggefährten Gorilla Biscuits) tatsächlich die Alternative-Charts ins Visier.
„Mantra“ bot bei einer Spielzeit von 31 Minuten und fetter Produktion elf Songs, in denen sich markante NYHC-Riffs, wie sie vielleicht doch nur Gitarrist John Porcelly aus dem Ärmel schütteln kann, mit einem in dieser Kombination noch ungehörten Pop-Appeal verbanden. In den Nachwehen des 1994er Punk-Revivals und mit Hilfe gehörigen MTV-Airplays wurden catchy Songs wie “Here We Go Again“ auch über die Szenegrenzen hinaus zu Hits und Shelter unweigerlich zur Speerspitze der Krishna-Core-Bewegung.
Who is Who in NYC
Zur heutigen Geburtstagsfeier stehen weder die Gründungsmitglieder von einst auf der Bühne, noch handelt es sich um die Original-Mantra-Besetzung. Stattdessen werden wir hier aber vier New York-Hardcore-Urgesteine erleben, deren Wege sich bei Shelter selbstredend nicht zum ersten Mal kreuzen: An Ray Raghunath Cappos Seite wird, wie so oft in ihrer beider Leben, sein kongenialer Partner John „Porcell“ Porcelly (u.a. Violent Children, Youth Of Today, Judge, Project X, Values Here) auf der Bühne stehen, den Bass zupft Shelter-Langzeit-Kollege Chris Interrante und an den Drums wird niemand anderes sitzen als Sammy Siegler, seines Zeichens Schlagzeuger so prägender Acts wie Side By Side, Youth Of Today, Judge, CIV, Glassjaw, Rival Schools oder (Achtung!) Limp Bizkit.

Das kongeniale Duo Cappo und Porcell
90’s-Nostalgie zum Einstieg
Gegen 20 Uhr eröffnet aber zunächst der Local Support Hard Strike den Abend mit einem halbstündigen Oldschool-Brett, das in seinen besten Momenten an 1990’s-Hardcore a la Battery erinnert. Kein Wunder, zählt doch deren Gitarrist Ken Olden auch zu den Mitgliedern dieses sich selbst lange Zeit als reines Proberaum-Projekt verstehenden Kollektivs. Das Kölner Publikum sieht bereitwillig über manch plumpe Textzeile oder gar zu rockig geratene Sing-Along-Passagen hinweg und nimmt die 90s-Nostalgie-Show als passenden Einstieg in den Abend dankend an. Fun Fact: Die aktuelle Hard-Strike-EP „1000 Pieces“ wurde 2024 auf dem deutsch-amerikanischen Label Unity Worldwide Records veröffentlicht, das Orange County-Legende und Unity- und Ignite-Gründer Joe Foster gemeinsam mit Sven ‚Billy‘ Guenther betreibt. Und einen ausführlichen Artikel über eben jenen Joe Foster gibt’s im aktuellen CRAZEWIRE-Magazin zu lesen.

Hard Strike eröffnen den Hardcore-Abend
The Youth Are Getting Restless
Mit Speedway entern nach ausreichend langer Umbaupause dann fünf Schweden die Bühne, die mit ihrer jugendlichen Verve die Energie des Abends nochmal auf ein ganz neues Level hieven und die das jetzt dicht gefüllte Luxor mit den treibenden, rasend schnellen und doch abwechslungsreichen Songs ihres erst fünf Tage alten Debüts „A Life’s Refrain“ (Revelation Records) ebenso rasend schnell auf ihre Seite ziehen. Wie ein Derwisch springt Frontmann Anton Larsson in bester Youth-Crew-Manier über die Bühne, um immer wieder mit den ersten Reihen des Publikums zu einem einzigen shoutenden Klumpen zu verschmelzen. Es ist schön zu sehen, wie frisch sich Hardcore mit jungen Menschen geben kann – die meisten der Mitglieder, so Anton zwischen zwei Songs, waren zur Veröffentlichung von „Mantra“ ja nicht einmal geboren. Einem beeindruckenden Set von rund 30 Minuten setzt ein Cover des Cro-Mags-Brechers „World Peace“ die verdiente Krone auf.

Heimliche Gewinner des Abends: Speedway
Here We Go Again
Mit einem minutenlangen Gesang aus der Bhagavad Gita leiten Shelter weit nach 21 Uhr schließlich das große Finale im stockdunklen Luxor ein. Der ohnehin schlanke Club platzt aus allen Nähten, als mit einem Mal das Riff zu „Message Of The Bhagavad“ erklingt und Scheinwerfer die Bühne erleuchten – der Mob tobt. Ohne große Umschweife folgen mit „Civilized Man“ und „Here we Go Again“ zwei weitere Stand-Outs des Albums, ehe Frontmann Ray erstmals das Wort ans Publikum richtet. Immer wieder wird er am heutigen Abend innehalten und wirklich schlaue Dinge sagen, während die Tracklist des Jubilars die Setlist der Show bestimmt. Cappo erfüllt dabei seinen Ruf als wortgewandter und charismatischer Kerl, überlässt aber während der Songs vorsichtshalber auch gerne mal den ein oder anderen Refrain dem Publikum. Die Band agiert, von kleinen Ausnahmen abgesehen auf den Punkt und vor allem der ruhelose Porcell scheint sich in diesem Setting pudelwohl zu fühlen. „Appreciation, „Empathy“ und das hymnische „Letter To A Friend“ werden begeistert gefeiert, ehe „Metamorphosis“ den offiziellen Teil des Abends beschließt und vier weitere Songs aus der Band-Diskografie („When 20 Summers Pass“, „Saranagati“, „Better Way“ und „Shelter“) so etwas wie die inoffizielle Zugabe bilden.

Shelter und Fans feiern die Hits vergangener Jahre
Auch wenn vielleicht nicht alles top notch war, lassen mich zweieinhalb Stunden Hardcore in unterschiedlichster Ausprägung und Attitüde regelrecht schwelgerisch zurück, und mit „A Life’s Refrain“ auf Vinyl unterm Arm, einem Wegbier in der Hand und der 12“ der Gorilla Biscuits auf den Ohren mache ich mich beseelt auf den Weg nach Hause.