Zaz – Lille (FR), Théâtre Sébastopol (15.10.2025)

Manche Konzerte beginnen nicht mit dem ersten Ton, sie tragen die Magie des Abends schon in sich, lange bevor sich der Vorhang hebt. So auch im altehrwürdigen Théâtre Sébastopol in Lille, das die französische Sängerin Zaz mit einer energiegeladenen Show zu neuem Leben erweckt.

Théâtre Sébastopol: Beeindruckende Kulisse …

Das 1903 errichtete Theater, mit seinem fast opernhaften Glanz, bildet den perfekten Rahmen für die Show einer Künstlerin, die mit ihrer Melange aus Chanson, Jazz und Pop selbst auch immer ein wenig aus der Zeit gefallen scheint. Und so liegt auch beim Betreten des eigentlichen Konzertsaals schon eine knisternde Spannung in der Luft: Ein Halbrund aus Samtsesseln und Brokat, das sich golden verziert um die Bühne rankt, Lichtkegel, in denen Staubpartikel wie Erinnerungen tanzen, und Balkone, die Geschichte und Geschichten zu raunen scheinen – es ist, als wäre längst Vergangenes hier greifbar und der Ort selbst Teil der Inszenierung.

… mit intimer Atmosphäre.

Zaz, mit bürgerlichem Namen Isabelle Geffroy, wurde 2010 mit dem Pop-Hit „Je Veux“ über Nacht zum Star, ihre musikalischen Wurzeln jedoch reichen tiefer: Klassischer Chanson, Retro-Jazz, Soul und Folk prägen ihren Nouvelle Chanson, der nicht selten gewürzt ist mit dem rauen Charme der Straßenmusik. Ihre Karriere begann in Bars und auf Plätzen, und diese Nähe zum Publikum ist ihr bis heute heilig. Mit fünf Studioalben und Tourneen durch Europa, Russland und Lateinamerika hat sie sich längst einen festen Platz im französischen Kulturbetrieb erspielt – und polarisiert diesen dennoch. Das kratzige Timbre und ihr unkonventioneller Stil werden ebenso gefeiert, wie verschmäht. Und auch ihre alternative, bisweilen esoterische Weltanschauung wird im intellektuell aufgeladenen Frankreich nicht ausnahmslos goutiert. Während manche in ihr also die letzte freie Stimme des Chanson sehen, werfen andere ihr naive Weltferne vor. Ein Stück weit ist es die Geschichte von der Prophetin im eigenen Land. In anderen Ländern – allen voran Deutschland – wird Zaz bedingungslos geliebt. Doch auch die rund 1.300 Zuschauenden im bis auf den letzten Platz gefüllten Théâtre Sébastopol, das kann ich vorweg nehmen, sind der Sängerin heute über den ganzen Abend mehr als wohlgesonnen.

Zaz begeistert an diesem Abend ihr Publikum …

Punkt 20:15 Uhr – fast zu präzise, um zufällig zu geschehen – brandet im Saal und auf den Rängen plötzlich und ohne sichtbaren Anlass Applaus auf. Rhythmisches, entschlossenes Klatschen, dann ein Lichtwechsel und ein kollektives Innehalten, ehe die Show, wie auf Gebot des Publikums hin, beginnt. 

Zaz ist von Beginn an pure Energie. Sie lacht, tanzt, dirigiert die Menge mit Handzeichen und Aufrufen und singt glasklar und mit voller Kraft. Schon nach dem zweiten Song vergessen die zurückhaltenden Franzosen erstmals ihre Contenance, singen und klatschen ihrerseits und tanzen in den durchgängig bestuhlten Reihen. Die Setlist ist zunächst geprägt von Songs des neuen Albums „Sains Et Saufs“, je weiter der Abend fortschreitet, desto öfter reihen sich aber natürlich auch Zaz-Klassiker, wie „Si Jamais J’oublie“, „Comme Ci, Comme Ça“ oder „Les Passants“ ins Programm. Mal erleben wir dabei eine ausgelassene und wild wirbelnde Zaz, die sogar von der Bühne springt, singend den Mittelgang entlang läuft, abklatscht, Menschen in die Arme nimmt. Dann wieder steht sie alleine am vorderen Bühnenrand, im Spot eines buchstäblich physischen Lichtstrahls, der sich den Weg durch das gesamte Theater bahnen muss und für regelrecht sakrale Momente sorgt. Und wenn sie dann leise und verletzlich „Oblouie Par La Nuit“ singt, lauscht das Publikum gebannt und hält andächtig den Atem an.

… in den stillen Momenten ebenso …

Von ganz wenigen Momenten der Solo-Improvisation abgesehen, überlässt ihr die vierköpfige Band zu jeder Zeit sowohl Bühne als auch Rampenlicht. Stimme und Präsenz der 45-Jährigen sind das unstreitige Zentrum eines Konzerts voller Intensität, Emotion und musikalischer Vielfalt, das nach knapp anderthalb Stunden und 17 Songs mit dem frenetisch gefeierten „On Ira“ ein erstes großes Finale findet. Sängerin und Band verlassen unter tosendem Beifall die Bühne – nur um sie schon wenige Minuten später zum wirklichen Finale wieder zu betreten: Das ergreifende „Une Passarelle Vers La Mer“ wird passend begleitet von einem Meer aus Lichtern im weiten Rund, der Piaf-Klassiker „La Vie En Rose“ findet hunderte Stimmen der Begleitung und „Je Veux“ bildet schließlich den krönenden Abschluss eines beeindruckenden Abends. 

… wie in den lauten.

Während ich diese Zeilen schreibe, haben wir das lebendige und liebenswerte Lille (Französische Städte? Lille auf die Eins!) schon wieder verlassen und ruhen uns an der normannischen Küste aus. Die Lieder in dieser wunderschönen Sprache klingen noch nach und auch vor meinem inneren Auge taucht Zaz noch einmal auf: Als das Saallicht bereits leuchtet, die Zuschauenden die Stätte verlassen und die Band längst hinter der Bühne verschwunden ist, kniet Zaz noch einige Zeit am Bühnenrand, nimmt lächelnd kleine Geschenke entgegen, schreibt geduldig Autogramme und plaudert herzlich mit den Fans. Eine Szene, die sinnbildlich für die Intimität des gesamten Abends steht.

[kh]