„Wir müssen das machen“ – Interview mit Dirk Darmstaedter von The Jeremy Days
Die ersten Britpopper kamen aus Deutschland: Ende der 1980er-Jahre schafften es die Hamburger The Jeremy Days mit ihrer melodischen Melange aus vom Sixties-Beat infizierten Jangle-Gitarren und amerikanischem Artrock bis auf die Mattscheibe MTVs und die Bühne des legendären Londoner Marquee Clubs. Unser Autor Sven sprach mit J’Days-Sänger und Band-Mastermind Dirk Darmstaedter über die anstehenden Auftritte als Acoustic Group, eine Full-Band-Tour, neue Musik und die heutigen Herausforderungen im Music Biz.
Crazewire: Hi Dirk! Wie ist es Dir und Deinen Bandkollegen seit dem umjubelten Wiedersehen mit Euren Fans in ganz Deutschland auf der letztjährigen „Beauty-In-Broken“-Tour so ergangen?
Dirk: Die Shows waren eine Herzensangelegenheit und die Tournee war ein großer emotionaler Erfolg für die J’Days! Und ich wünsche mir, dass wir etwas Ähnliches in Zukunft noch einmal machen können. Aber natürlich kommst Du dann auch als Musiker recht schnell wieder im wirklichen Leben abseits von Bühne und Scheinwerferlicht an – mit allem, was der Alltag an Ups’n‘Downs so mit sich bringt (lacht).
Crazewire: Im kommenden Herbst 2024 stehen für Euch ein paar Shows als Acoustic Group an. Gemeinsam mit Eurem Gitarrist Jörn Heilbut und Drummer Stefan Rager spielst Du in einer Handvoll kleinerer deutscher Städte Unplugged-Gigs. Euer Keyboarder Louis Oberländer lebt seit gut 20 Jahren in Los Angeles, ist deshalb von dort verständlicherweise auch nicht ständig abkömmlich und folglich nicht dabei, ebenso wie Bassist Stefan „Eddy“ Endrigkeit.
Dirk: Genau. Zwei Auftritte aus dieser Konzertreihe – einen davon auf der nordfriesischen Hallig Langeneß, den anderen auf einem Festival – haben wir als Warmup-Shows bereits im Frühsommer absolviert.
Deep Cuts und Hidden Gems
Crazewire: Wie war’s und was zeichnet diese Lagerfeuer-Gigs aus?
Dirk: Das sind wunderschöne, atmosphärisch dichte und auch interaktive Abende, die sowohl uns als Künstler als auch unser Publikum bewegen. Rund um die Lieder gibt es viele Anekdoten zu erzählen aus unserer vergangenen wie jüngeren Bandgeschichte. Ich finde, sie passen als Ergänzung zu den Full-Band-Shows prima in die J’Days-Welt – auch weil sie gefühlt vielleicht noch ein klein wenig freier sind und Raum für das eine oder andere Song-Experiment bieten. Aber die Fallhöhe für uns als Band ist irgendwie auch größer: Denn obwohl sie ja ein reduziertes musikalisches Setting haben, können diese Abende eine riesengroße Dynamik annehmen. Und auf der instrumental recht spartanischen Bühne fühlst du dich auch etwas ungeschützter. Normalerweise steht beispielsweise Louis ja mit uns dort samt beeindruckender Synthies-Soundwall, hinter der ich mich bei Bedarf auch schon mal für einen Moment lang verstecken kann (lacht).
Crazewire: Im Vorfeld habt Ihr für die Unplugged-Shows Deep Cuts, B-Sides und Hidden Gems der Jeremy-Days-Historie angekündigt: Magst Du uns ein paar Deiner bisherigen dort performten Highlight-Songs verraten?
Dirk: Oh, definitiv ist da „Clouds Of Maine“ von unserem zweiten Longplayer „Circushead“ – ich meine: Hey! Wer hätte gedacht, dass wir den überhaupt nochmal spielen, obgleich er immer einer meiner absoluten J’Days- Lieblingssongs gewesen ist. „Raintree Country“ von unserem self-titled Debütalbum und natürlich „What The Wind’s Blowin‘ Round“, ebenfalls von „Circushead“ – Letzeres nicht nur in diesem akustischen Setup ein Killertrack, wie ich finde. Und auch von unserer aktuellen Platte „Beauty In Broken“ gibt es Überraschungen in der Setlist: Das eigentlich ja ziemlich laute „The Deep Dark Night“ etwa überzeugt ebenso in seiner Stripped- down-Version.
„Genau null Euro an der Tour verdient“
Crazewire: Wie kam die Idee für die Acoustic-Group-Konzerte zustande?
Dirk: Ich könnte jetzt ausschließlich behaupten, dass wir das schon immer mal machen wollten, um auch diese musikalische Facette unserer Musik zu bedienen beziehungsweise auf die Bühne zu bringen, aber das wäre dann halt nur ein Teil der Wahrheit.
Crazewire: Welchen weiteren Aspekt hättest Du uns dann verschwiegen?
Dirk: Selbst auf die Gefahr hin, dass das jetzt unromantisch klingt: Zur Wahrheit gehört auch, dass wir diese Shows spielen müssen, wenn wir die Jeremy Days wirtschaftlich am Leben erhalten wollen! Unter anderem auch deshalb, weil wir an unserer „Beauty-In-Broken“-Tour als Band exakt null Euro verdient haben.
Crazewire: Trotz eigentlich ordentlich gefüllter, wenn auch eher kleinerer Clubs, die Ihr bespielt habt?
Dirk: Ja. Nach Zahlung der Clubmieten, anteiliger Gema-Gebühren und Versicherungsbeiträgen, des Lohns für unsere Crew sowie den Spritkosten für unseren Bandbus stand da eine schwarze Null im Kassenbuch. Am Ende waren wir froh, nicht draufzuzahlen. Bitte nicht falsch verstehen: Wir haben diese Konzerte aus vollem Herzen gespielt und jeden einzelnen Abend mit unseren Fans geliebt. Aber ökonomisch betrachtet war das gesamte Unterfangen eigentlich von Anfang an bar jeder Vernunft. Mit unserer Acoustic Group können wir diesen Kostenapparat jetzt in Teilen minimieren: Wir müssen Louis nicht aus LA einfliegen lassen, brauchen keine Crew, passen alle drei in mein Auto, benötigen weniger Technik und auch Hotelzimmer. So sollte schlussendlich hoffentlich auch etwas in unserer Bandkasse hängenbleiben.
Kanada als Role Model
Crazewire: Bedeutet: Ihr subventioniert mit der Acoustic Group die Jeremy Days in der Full-Band-Version?
Dirk: So kann man das sagen – um irgendwann dann auch wieder als J’Days in der Full-strength-Formation zu touren. Denn allein durch Plattenverkäufe trägt sich eine Band heutzutage auch nicht mehr. Wir hätten zum Beispiel liebend gern von unserer vergangenen Tour ein tolles Live-Doppel-Vinylalbum als Erinnerung an diese phantastischen Auftritte gemacht. Aber mit den Kosten fürs Presswerk, Artwork, Mixing und Mastering müssten wir davon 5.000 Stück verkaufen – und das ist utopisch. Deshalb verspüren allem voran kleine und mittelgroße Bands immer größeren Druck, gefühlt nonstop Gigs zu spielen und dort ihr Merch zu verkaufen. Was wiederum Folgen für den Konzertmarkt als solchen hat: Es herrscht ein Überangebot an Shows, was die Margen für Musikerinnen und Musiker zusätzlich schmälert. Aus alldem hat sich ein bedrohlicher Strudel entwickelt.
Crazewire: Würdest Du Dir für Künstlerinnen und Künstler vielleicht auch noch ein wenig mehr an staatlicher finanzieller Unterstützung wünschen?
Dirk: Lass es mich so formulieren: Mit Tapete Records (Dirk war Co-Founder des Hamburger Indie-Labels und hat es über zehn Jahre lang erfolgreich geführt, Anm. des Autors) war es schon damals viel einfacher für uns, etwa kanadische Indie-Musikerinnen und -Musiker für eine Fünf-Städte-Tour nach Deutschland zu holen. Denn durch das kanadische Government Funding war ein Großteil an Kosten bereits im Vorfeld durch Fördertöpfe finanziert. Länder wie Deutschland, die USA oder auch das Vereinigte Königreich hinken einer Kunst- und Kulturförderung wie der Kanadas bis heute hinterher.
„J’Days-Shows und neue Musik hoffentlich im Herbst 2025“
Crazewire: Falls sich Eure Pläne einer Full-Band-Tour der Jeremy Days in näherer Zukunft verwirklichen lassen – habt Ihr dafür schon einen Circa- Zeithorizont?
Dirk: Hm, hoffentlich wie realistisch sprechen wir da über den Herbst 2025 – was auch mit daran liegt, dass die Konzertclubs bis dahin bereits ausgebucht sind. Und wir reden von einer Mini-Tournee, konzentriert auf einige wenige deutsche zentrale Konzert-Hotspots wie Berlin, Hamburg und Köln. Einen Kraftakt wie unsere letztjährige „Beauty-In-Broken“-Tour durch zehn Städte quer über die Republik verteilt, lässt sich wie schon gesagt schlichtweg nicht mehr für uns stemmen. So bitter das für uns als Vollblutmusiker und unsere Fans auch sein mag und so leid uns das tut.
Crazewire: Arbeitet Ihr dafür aktuell auch schon an neuer J‘Days-Musik?
Dirk: Wenn wir die Tour realisieren können, dann kommen wir auch nicht mit ganz leeren Händen (lacht). Ich möchte mich zwar jetzt nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen und von einem kompletten neuen Album sprechen. Aber den einen oder anderen neuen Song werden wir unseren Fans präsentieren – das ist zumindest, was ich mir wünsche. Wie viele Tracks es dann am Ende sind, müssen wir schauen. Wie Du ja weißt: Musikalisch treten wir nie auf der Stelle. Und überhaupt haben wir ein großes Kämpferherz und lassen uns nicht unterkriegen. Das ist nun mal das Mindset der Jeremy Days (lacht).
Crazewire: Ums Nicht-Aufgeben geht’s auch im neuen Dirk-Darmstaedter- Solotrack „Dark Times“ – ein berührendes, tolles Lied (das Dirk uns im Rahmen des gemeinsamen Gesprächs vorab vorgestellt hat und ab sofort überall dort gehört werden kann, wo es Musik gibt, Anm. des Autors).
Dirk: Schön, dass es Dir gefällt! Das Stück ist die erste Single-Auskopplung aus meinem nächsten Soloalbum, das Anfang 2025 erscheint.
Crazewire: Wir freuen uns auf alles, was da von Dir und den J’Days kommt – danke für unser Gespräch und Deine offenen Worte, lieber Dirk!
The Jeremy Days Acoustic Group – Tourdaten 2024:
11.10.2024 Celle – CD Kaserne
02.11.2024 Blomberg – Blomberger Songfestival
05.11.2024 Lübeck – Kolosseum
09.11.2024 Bonn – Harmonie
Tickets gibt HIER