Und dann waren da noch…

… die bereits veröffentlichten und leider liegengebliebenen Alben von Angelika Express, EMF, Liebling und Still Talk.


Angelika Express – „Verzerrer“ (Peng Musik)

Angelika Express hatten vor zwei Jahrzehnten mit „Geh doch nach Berlin“ einen kleinen, aber feinen Indie-Hit. Zwanzig Jahre später ist Robert Drakogiannakis immer noch unterwegs. Zusammen mit Bassistin Annick Manoukian und Trommler Tscherno Copter hat er auf „Verzerrer“ zwölf Songs aufgenommen, die sich weiterhin irgendwo zwischen Punk, Rock und Indie bewegen und mal catchy, mal etwas verschroben um die Ecke kommen.

Vor allem der Titeltrack, „Feelings“ sowie „Extreme Dummheit, Ursprung und Lösung aller Probleme“ können überzeugen und machen live ziemlich großen Spaß. Dabei versuchen Angelika Express, den Streaming-Diensten dieser Welt aus dem Weg zu gehen: Das Album ist ausschließlich als Download und in verschiedenen Vinyl-Auflagen erhältlich. Letztere kommen in einem schönen Gatefold daher, das auf dem Frontcover das Gemälde „Brandt“ zeigt – denn Drakogiannakis ist auch als bildender Künstler aktiv.


EMF – „Reach For Something Higher“ E.P. (EMF Records)

EMF sind und bleiben eine der wichtigsten Bands in meinem Leben. Okay, die Liebe ist in den vergangenen Jahren ein bisschen abgekühlt: Die beiden Alben „Go Go Sapiens“ und „The Beauty And The Chaos“, die nach ihrer Reunion veröffentlicht wurden, konnten mich nicht ganz überzeugen. Und auch das Buch von Ex-Drummer Mark DeCloedt (siehe Crazewire Ausgabe 5) lässt das Fanherz mit einigen Fragezeichen zurück.

Mit der „Reach For Something Higher“-EP beweist das Songwriter-Duo James Atkin und Ian Dench jedoch, welches unglaubliche Potenzial in ihm steckt. Mit „Hands In The Air“ gelingt ihnen ein fulminantes Comeback. Eine politische Botschaft in ein derart poppiges Gewand zu gießen, ist schon beeindruckend.

We dedicate this record to everyone everywhere defending democracy, equality and accountability“ – wichtig, wie ich finde. Einfach mal die eigene Reichweite nutzen, um darauf hinzuweisen, dass es auch 2025 noch Menschen gibt, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. „LGBTQ+ Lover“ unterstreicht das nachdrücklich. Die B-Seite wird von einer – vor allem auf den Livekonzerten der Band abgefeierten – Coverversion von „Just Can’t Get Enough“ sowie dem elektronischen „The Day The Music Died“ abgerundet.


Liebling – „Lieder eines Liebenden“ (Eigenvertrieb)

Manchmal stolpert man in ein Rabbit Hole und kommt nicht mehr so richtig heraus. Bei mir war es ein Video von Hänsel, das mir seit einigen Jahren immer mal wieder in die Timeline gespült wird. Dessen Mischung aus Techno und Kirchenmusik ist – wie soll ich das jetzt wertfrei sagen – interessant.

Liebling ist Hänsels Bruder und taucht immer wieder in dessen Videos auf. Er selbst macht auch seit drei Jahren Musik und veröffentlicht mit „Lieder eines Liebenden“ nun eine ziemlich beeindruckende Sammlung kurzer Pop-Songs, die Einflüsse aus Hip-Hop, Folk, Electronica und Indie-Pop geschickt zusammenführt. Inspiriert ist das Ganze von der Bildsprache und Melancholie klassischer Dichter – gerade auf lyrischer Ebene modern und sehr gelungen umgesetzt. Darüber hinaus sind Stücke wie „Wolkenkinder“ oder „Irrungen und Wirrungen“ schlicht smarte Pop-Songs. Das unterstreicht auch die bereits 2024 veröffentlichte Single „Blümelein“ nachdrücklich.

Die Magie, die Lieblings Songs auf mich ausüben, kann ich tatsächlich kaum greifen, zumal sie komplett konträr zu meinen üblichen Hörgewohnheiten stehen. Auf „Himmel auf Erden“ gibt es zusätzlich einen Gastauftritt von ELA, der wirklich ganz wunderbar in das Gesamtbild passt.


Still Talk – Year Of The Cat (hithome Records)

Pop-Punk mit Frauenstimme? Count me in. Still Talk haben mit ihrem zweiten Album „Year Of The Cat“ einen riesigen Schritt nach vorne gemacht: relevant in den Texten sowie nahezu perfekt arrangiert und produziert. Dazu kommt eine Hitdichte, die wirklich beeindruckt. Allein „Blacking Out In TK Maxx“ rechtfertigt die aktuellen Lobeshymnen auf die Kölner Band.

Der Titeltrack behandelt derweil das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern – sowohl in der Gesellschaft als auch in der Musikbranche. Der Song erinnert an die poppigere Seite von Press Club, was der Band ausgesprochen gut steht. Dass Still Talk auch nach vorne preschen können, beweist das zumindest im Refrain treibende „Ghost“.

Womit wir beim einzigen Wermutstropfen wären: Dem Album fehlen ein paar Ecken und Kanten. Der ein oder andere Song schrammt nämlich knapp an der Beliebigkeit vorbei. Das schmälert den insgesamt überaus positiven Gesamteindruck jedoch keineswegs.