Tourtagebuch: tinie creatures – Sleepless Tour (Teil 2)

tinie creatures sind momentan auf Deutschlandtour zum Release ihres ersten Albums „Sleepless“. Freda, Bassistin und organisatorisches Gehirn der Band, schreibt hier über die ersten Konzerte der Tour.

Foto: Masha Shafit

23.09.2024 Essen, Rabbit Hole Theater
Nach einem Day Off in Köln, den wir getrennt voneinander zur kurzen Rekonvaleszenz nutzen, geht die Tour weiter. Heute ist das Rabbit Hole Theater in Essen an der Reihe, hier haben wir bereits vergangenes Jahr gespielt und ein treues Publikum gewonnen, das danach auch schon zu anderen Konzerten angereist ist. In Theaterräumen spielen wir ohnehin sehr gerne, da das zum konzentrierten Zuhören einlädt und die Wechsel auf der Bühne hier irgendwie immer besonders organisch rüberkommen. Das Rabbit Hole schafft es zudem immer, wunderschönes Licht und einen fantastischen Sound zu zaubern. Die Vorfreude ist also groß.

Eine schöne Mischung aus bekannten Gesichtern, Neulingen und der Geburtstagsgesellschaft einer Bandfreundin sorgt für einen angenehm vollen Saal, den die Bühnenstrahler ordentlich aufheizen. Die ohnehin eingeplante Pause zwischen zwei Sets erweist sich heute als besonders sinnvoll. In der Pause bekomme ich zufällig mit, dass jemand mit tschechischen Wurzeln im Publikum sitzt. Tschechisch-Muttersprachler Tom wirft das kurz in eine Krise, denn wir haben mit „Molotov“ der Band Kryštof ein tschechisches Cover im Programm, bei dem er sich normalerweise sicher sein kann, dass niemand so richtig exakt auf den Text achten wird. Bevor wir den Song spielen, checkt er bei der Person ein, und natürlich ist der Song ihr bekannt (dazu muss man sagen, dass Kryštof bekanntheitsmäßig sowas wie die tschechischen Coldplay sind). Angeblich hat er es am Ende gut gemacht. Auf wie vor der Bühne ist die Stimmung gleichermaßen gut, das Konzert macht Spaß und es sind keine größeren Pannen zu vermelden. Ergo kann nun kommen was wolle: mehr als die Hälfte der Konzerte der Tour werden sehr schön gewesen sein.

Jemand der Verbliebenen packt einen Analogsynthesizer aus, dem man vergeblich angenehme Töne zu entlocken versucht. Was wiederum sehr schön ist, sind die Klavierimprovisationen, die an der Bar des Theaters in verschiedenen Konstellationen zum besten gegeben werden. Spontan wird beschlossen, die Nacht im Theater zu verbringen, um morgens etwas Stress zu sparen, und so werden Maske und Bühne kurzerhand in Schlafplätze verwandelt. Bequemes Tourleben sieht sicher anders aus, dafür entbehrte es nicht eines gewissen Glamours.

Foto: tinie creatures

24.09.2024 Bremen, Litfass
Eine Freundin hatte uns am Vortag einen guten, fußläufig erreichbaren Second Hand-Laden in Essen empfohlen, und so ziehen wir nach dem Beladen des Wals noch einmal in die Stadt. Diesmal ziehe ich den Joker in Sachen Bühnenklamotten und komme mit einem Berg glitzernden Textils aus dem Laden. Tom wiederum macht fast einen jungen Mann sehr glücklich, indem er seine Gürteltasche gedankenverloren beim telefonieren auf den Haufen mit zum Verkauf stehenden Handtaschen legt. Ich werde dem Ruf des „Gehirns der Operations“ gerecht und verhindere Schlimmeres.

Danach geht es weiter nach Bremen. Das ist für Tom das zweite Heimspiel, hier kommt er ursprünglich her. Entsprechend fahren wir früh los, um bei seiner Mutter noch ein fürstliches Mittagessen abzustauben, bevor es zum Litfass geht. Der Laden, eine nette Raucherkneipe mit großem Biergarten, liegt mitten im Viertel an einem belebten Platz neben einer viel befahrenen Straße inklusive Tram. Die Veranstaltenden haben ob des guten Wetters beschlossen, dass wir das letzte Außenkonzert des Jahres spielen sollen. Uns wird zunächst etwas mulmig, da die Lautstärkeverhältnisse vor Ort zu unserer Ankunft durchaus als „urban“ zu bezeichnen sind. Nach dem Feierabendverkehr löst sich dies aber auch, und dank kompetentem Tonmenschen kommen selbst die leisen Stücke, die Tom solo spielt, gut durch. Ungewohnt, aber witzig ist, dass Mocki mit seinem Schlagzeug im Laden vor dem geöffneten Fenster spielt, während wir außen auf einer kleinen Bühne stehen. Ich stehe wiederum direkt am Bühnenrand und muss mich sehr konzentrieren, damit ich nicht einen Schritt zu weit nach links mache und herunterfalle.

Der Biergarten ist sehr gut gefüllt, auch einige Menschen, die zufällig vorbei kommen, bleiben kurz stehen oder gleich noch bis spät in die Nacht. Der Sound ist wirklich fantastisch und das Konzert macht auch heute wieder Spaß, es gibt dank der vielen bekannten Gesichter einige unterhaltsame Zwischenrufe. Tom ist etwas nervös, da unter anderem sein Gitarrenlehrer im Publikum sitzt. Passenderweise reisst heute die zweite Saite der Tour, eine Ersatzgitarre hatte nicht ins Auto gepasst, entsprechend kann er direkt zeigen, wie schnell und gut er eine Saite neu aufziehen kann. Der Lehrer ist zufrieden, nur an der Daumentechnik sieht er weiterhin Verbesserungspotenzial.

Dem Heimspiel gebührend wird der Abend für einen Teil der Band sehr lang, der den anderen Teil folgerichtig um halb 5 aus dem Bett klingelt, um Einlass zu erhalten (obwohl extra ein Schlüssel draussen deponiert worden war).

Foto: tinie creatures

25.09.2024 Hannover, Nordstadtbraut
Nach einem ausgiebigen Frühstück bei Toms Mutter machen wir eine kleine Stadttour, damit Mocki, der so ziemlich jede Stadt außer Köln auf dieser Tour neu kennenlernt, zumindest ein bisschen was von Bremen gesehen hat. Wie sich das für den Norden gehört, regnet es inzwischen in Strömen. Wir besuchen den Schnoor, die Bremer Stadtmusikanten und die örtliche Pommesbude. Schön!
Danach machen wir uns auf den Weg nach Hannover zur Nordstadtbraut. Ich habe hier vergangenes Jahr bereits mit meinem Soloprojekt gespielt und freue mich auf ein Wiedersehen mit Renate, die diesen wunderschönen Ort für Livemusik im Alleingang managt.

Die Nordstadtbraut hängt voll mit von Renate eigens bemalten Schallplatten, hier wird auch Musik vornehmlich auf Vinyl aufgelegt und es gibt ein wirklich erstaunliches, sehr volles Programm an diversesten Bands über das ganze Jahr. Beim Soundcheck gibt es die erste größere Krise der Tour – nachdem der Bass erst ein paar Aussetzer hat, gibt er plötzlich keinen Laut mehr von sich. Im Inneren hat sich ein Kabel gelöst, das eigentlich gelötet werden müsste. Ich unternehme einen hilflosen Versuch, über eine gut vernetzte Freundesgruppe vielleicht einen Bass in Hannover aufzutun, während Mocki und Bertin eine Notoperation durchführen. Glücklicherweise kriegen sie das Instrument professionell nach MacGyver-Tradition repariert, so dass es nicht nur für heute, sondern auch den Rest der Tour seinen Dienst tut. Dafür reisst heute bei Tom die dritte Saite der Tour – gut dass er im Training ist, was schnelles Wechseln angeht.

Da wir in Hannover noch nie gespielt haben und auch unser Freundeskreis vor Ort nicht riesig ist (genau genommen besteht sie aus einer Person), freuen wir uns über die kleine Ansammlung von Menschen, die dank ihres Vertrauens in Renates Geschmackssicherheit blind gekommen sind. So wird es ein eher intimes, aber dennoch sehr schönes Konzert. Den Abend lassen wir noch gemütlich in der Nordstadtbraut ausklingen, bevor wir es in den von Renate extra für „ihre“ Bands hergerichteten Räumlichkeiten auf den vielleicht bequemsten Matratzen der Tour gemütlich machen.

26.09.2024 Day Off (Leipzig)
Bereits im Vorfeld waren wir uns einig, dass wir den heutigen Offtag lieber in Leipzig verbringen möchten als in Hannover – Tom hat dort studiert und auch ich habe quasi familiäre Verbindungen in die Stadt. Wir brechen also früh zur Nordstadtbraut auf, wo Mocki und Bertin einen neuen Rekord im Autobeladen aufstellen. Die Fahrt führt durch den Harz und bietet was fürs Auge. Für das leibliche Wohl habe ich mit einer meiner Leipzigtraditionen bereits den Boden bereitet – im Westen der Stadt wartet eine fantastische vietnamesische vegane Ente auf uns, die für mich bei jedem Besuch zum Pflichtprogramm gehört.

Wir verbringen den Abend in der Wohnung einer Freundin, bevor wir die Instrumente schon mal für den nächsten Tag in den Konzertraum in einem Wohnprojekt im Osten Leipzigs bringen. Da wir alle den Raum vorher noch nicht gesehen haben, sind wir kurz aufgrund seiner geringen Größe überrascht, richten ihn aber schön und gemütlich her, so dass wir morgen am Konzerttag nicht mehr so viel Arbeit damit haben. Anschließend fahren wir zu unserem Gastgeber, der wiederum gerade erst aus dem Urlaub wieder da ist, und machen ein Nacht-Picknick mit allerlei portugiesischen Spezialitäten.

Foto: David Draeger

27.09.2024 Leipzig, EG125
Mein Wecker geht um halb 8, da ich ausnahmsweise mal das Rudel trenne, um Freund*innen vor deren Schicht zu besuchen. Pünktlich zum Frühstück kehre ich zum Rest zurück. Tom hat in der Zwischenzeit schon einmal die Gesangsanlage von einem befreundeten Musiker abgeholt, von der allerdings noch ein paar essenzielle Teile fehlen, die erst am Nachmittag eintreffen werden.

Die Wartezeit nutzen Mocki, Bertin und ich für eine geführte Radtour mit unserer gestrigen Gastgeberin, da die anderen beiden Leipzig nicht kennen und ich mich mich sehr über ein bisschen Bewegung und frische Luft freue (erstaunlicherweise kommt das im Tourleben wirklich kurz, wenn man sich nicht aktiv drum kümmert). Tom nutzt die Zeit, um Antworten für eine Presseanfrage zusammenzustellen, schließlich befinden wir uns nebenbei ja auch noch in der Promophase unseres Albums. Außerdem hasst er Radfahren.

Nach einer schnellen Kaffee-Kuchen-Session (an dieser Stelle muss ich eine kleine Lanze für Sachsen brechen, da laufen wie überall viele Dinge überhaupt nicht gut, aber Kuchen können die!) holen wir die fehlende Technik ab und bauen den Rest auf. Der Raum ist ob seiner Größe soundtechnisch nicht ganz leicht zu bändigen, aber auch hier schafft es unsere eingespielte Bande, ein gutes Ergebnis rauszuholen.

Von vornherein ist klar, dass heute nicht ganz einfach wird. Mocki wird das Rudel bereits nach dem Auftritt trennen, um zurück nach Köln und von dort aus in den Urlaub zu fahren. Das drohende Tourende lauert und schlägt sich auf den Gemütern nieder. Zudem sind Konzerte in selbstverwalteten Räumen oft etwas anstrengender, da man sehr viel mehr Verantwortung und Aufgaben hat – für Getränke, Awareness-Konzept etc. sind wir heute nebenbei auch zuständig. Von daher ist die kleine Ansammlung an Menschen, die zum größten Teil aus Freund*innen besteht, auch ein Glück, da sie sich gut selbst bekümmern können.

Trotzdem ist ein bisschen der Wurm drin, was die Stimmung angeht, als Highlight reisst Tom die vierte Saite der Tour (wir sind also bei einer 50%-Quote und es kommt die Frage auf, ob die vom Bremer Gitarrenlehrer angesprochene Daumentechnik eventuell damit zu tun haben könnte). Nachdem wir unser Set also das achte mal in elf Tagen gespielt haben, verabschieden wir Mocki unter Tränen und geben uns langsam aber sicher der Schwermut hin, dass diese wirklich schöne Klassenfahrt sich dem Ende neigt. Eine sich zwei Stunden ziehende letzte Runde in einer nahe gelegenen Eckkneipe bildet den Schlusspunkt, bevor wir ein letztes mal in fremden Betten einschlafen. Morgen gehts nach Köln.