Reconstruction Tour 2025 – KÖLN, Live Music Hall (27.05.2025)

24 Jahre nach meinem ersten Besuch der Deconstruction-Tour im Kölner Palladium ging es diesmal in die Live Music Hall. Dort meldet sich das legendäre Punk-Festival nicht nur mit leicht relaunchtem Namen sondern auch mit einem verheißungsvoll diversen Billing zurück.

Die Show ist seit Wochen ausverkauft, entsprechend rege geht es auch schon des sehr frühen Abends im Eingangsbereich der Location zu. Der Regen tut ein Übriges und so drängen sich die vielen Besucher entweder noch unter die Überdachungen des Innenhofs oder gleich in die Halle selbst.

Dead Pioneer
Dort eröffnen die Dead Pioneers um 18:30 Uhr pünktlich den anstehenden Punkrock-Marathon. Vor einem zumindest unmittelbar vor der Bühne noch luftig gefüllten Rund prügeln sich Gregg Deal und seine Mannen durch ein knapp halbstündiges Set aus Songs ihrer beiden Alben, das zwar musikalisch durchaus druckvoll daherkommt, dessen Konzept aber vielleicht doch für kleinere Clubs erdacht ist. Die teils mit Dead Pioneers-Shirt ausstaffierten Die-Hards stört das nicht, und so gibt es für die solide und sympathische Eröffnung des Abends von diesen, aber auch von den übrigen frühen Vögeln durchaus wohlwollenden Applaus.

Dead Pioneers eröffnen den Abend

The Iron Roses
Zu den Klängen von Chumbawambas „The Day The Nazi Died“ entert nach kurzer Umbaupause dann ein schrilles Sextett die Bühne, das zumindest die vordere Hälfte der nun dichter gefüllten Halle mit einem Schlag im Griff hat. Das Intro war dabei nicht nur thematisch sondern auch musikalisch gut gewählt: Auch The Iron Roses überzeugen in einer wilden Mischung aus Rock, Punk, Ska und melodischem Irgendwascore vor allem mit dem tollen zweistimmigen Gesang der beiden Frontpersonen Becky Fontaine und Nat Gray.

The Iron Roses: Die heimlichen Gewinner des Abends?

Als völlig Ahnungsloser – die Band war mir kein Begriff und ich habe auch Nat Gray (ehemals Boysetsfire) tatsächlich weder optisch noch akustisch erkannt! – bin ich zugleich überrascht und begeistert davon, welche Energie sich da wie selbstverständlich von der Band auf die tanzenden Zuschauer überträgt. Coole Statements, abwechslungsreiche Songs, gut gelaunte Musiker – Top! So kann’s weiter gehen.


Comeback Kid
Der Hardcore-Bolzen, den die Kanadier von Comeback Kid dann in den Abend rammen, ist wiederum von einem ganz anderen Kaliber: Verträumtes Lächeln ist jetzt grimmigen Fratzen gewichen und wo eben noch liebevolles Schunkeln und gut gelauntes Hüpfen angesagt war, wird jetzt mächtig geschubst. Passend zur phonetischen Dichte, hat sich auch der Club noch einmal merklich gefüllt und der Mob folgt Sänger Andrew Neufelds Anweisungen bereitwillig, drängt nach vorne, reckt die Fäuste, shoutet und initiiert tatsächlich den ersten Circle Pit des Abends.

Das volle Brett gibt’s von Comeback Kid

Auch wenn mir die ganze Attitüde auf der Bühne – vom einstudierten Stage-Entry, über das permanente Gekreische auch zwischen den Songs bis hin zur allgegenwärtig zur Schau getragenen Maskulinität – stellenweise ein Stück weit zu prollig gerät, ist das alles doch auch echt mitreißend, das muss man der Band unumwunden zugestehen. Nach rund 30 Minuten Hardcore aus Winnipeg lassen Comeback Kid ein Meer verschwitzter Leiber zurück. Und eine Live Music Hall, die  spätestens jetzt auf Betriebstemperatur ist.

Propagandhi
Auf Propagandhi hatte ich mich besonders gefreut. Ihr aktuelles Release „At Peace“ feiern wir in der Nummer 4 unseres Fanzines als Album der Ausgabe und ich war gespannt, wie sich diese krude Mischung aus Punk, Hardcore und anspruchsvollem Tech-Metal auf die Bühne übertragen lassen würde. Und während ich bei meinem letzten Propagandhi-Konzert (Bürgerhaus Stellwerk, 2003) wahrscheinlich konstant im schwitzenden Mosh-Pit versank, besinnt sich mein gut 20 Jahre älteres Ich heute an die Barrikaden gelehnt und hektisch mit dem Kopf nickend darauf, rund 40 Minuten lang zu beobachten wie die linken Hände von Chris Hannah, Todd Kowalski und Sulynn Hago in irrwitzigem Tempo über die Hälse ihrer Instrumente fliegen.

Propagandhi: „Less Talk. More Rock!“

Die vertrackten Songs funktionieren auch live wunderbar und das begeisterte Publikum hat im Gegensatz zu mir auch kein Problem damit, wild und ausgelassen dazu zu moshen. Hannah und Kowalski spielen sich zwischen den Songs wie eine Mischung aus Beavis und Butt-Head auf der einen und Kienzle und Hauser auf der anderen Seite die Bälle zu, echte politische Statements bleiben aber aus. Getreu dem eignen Motto „Less Talk. More Rock!“ transportieren Propagandhi diese lieber in ihren Lyrics und mit ihrem straighten, konsum- und autoritätskritischen Handeln als Band. Nur Respekt!

Pennywise
Als stünden Umbaupause und darauffolgende Live-Präsenz in irgendeinem Verhältnis zueinander dauert es gefühlt ewig, bis die heutigen Headliner Pennywise schließlich die Bühne betreten. Müssig zu erwähnen, dass die Live Music Hall jetzt aus allen Nähten platzt. Pennywise sind eindeutiges Zugpferd und die Band auf die sich heute alle einigen können. Das Set besteht aus einer angenehmen Mischung alter und mittelalter Hits („Wouldn’t It Be Nice“, „It’s What You Do With It“, „It’s Up to Me“, „Same Old Story“, „Fuck Authority“ oder „Perfect People“) und Frontmann Jim Lindberg, Schlagzeuger Byron McMackin und Bassist Randy Bradbury machen einen äußerst frischen Eindruck. Und … nun ja… Fletcher ist Fletcher. 

Pennywise: „Same Old Story“?

Es gibt Circle Pits, Crowd Surfing und jede Menge Singalongs. Ein Kid namens Simon hat wohl den Abend seines noch jungen Lebens, als er von Fletcher auf die Bühne gebeten wird, um ihn in einem gefakten Gitarrenduett zu begleiten (Simon spielt offensichtlich nicht Gitarre) und im Mittelteil serviert die Band erfrischend und  unvermittelt eine Art Punkrock-Cover-Interludum mit etlichen NOFX-Klassikern wie „Bob“, „Kill All the White Man“ oder „The Brews“, aber auch Sublime- oder Bad Religion-Songs kommen zum Einsatz. Pennywise zeigt sich bei alldem ebenso spielfreudig, wie routiniert. Und ehe dann zum obligatorischen Folklore-Kehraus „Bro-Hymn“ gebeten wird, habe ich mich auch schon auf den Rückzug begeben.

Alles in allem ein richtig guter Abend! Fünf völlig unterschiedliche Bands die dennoch passend ausgewählt wurden und von denen jede für sich ein überzeugendes Set gespielt hat. Mit The Iron Roses gab’s zudem eine persönliche Neuentdeckung. Manchmal war’s ein bisschen zu viel Rock-Show – aber das ist nicht nur Jammern auf hohem Niveau, sondern auch das eines alten Mannes. Top Show!