Alkaline Trio – Blood, Hair and Eyeballs

Das Alkaline Trio ist schon lange eine echt wichtige Band für mich. Seit vielen Jahren ist alles von „For Your Lungs Only“ (1998) bis „Good Mourning“ (2003) immer wieder in meiner persönlichen Heavy Rotation zu finden und Songs wie „My Friend Peter“, „As You Were“, „Mr. Chainsaw“, „Armageddon“ oder „This Could Be Love“ sind seit langer Zeit treue Begleiter. Nach einigen mittelmäßigen Releases hat mich „zuletzt“ auch „Is This Thing Cursed?“ (2018) wieder komplett einkassiert – jede Menge Hits, kein wirklich schlechtes Stück!

Ich hätte es mir anders gewünscht, aber leider kann ich das von „Blood, Hair, and Eyeballs“, dem mittlerweile zehnten Album der Band aus Chicago, das nach sechs Jahren und der bisher längsten Pause am 26. Januar 2024 erscheinen wird, nicht mit voller Überzeugung sagen.

Die Band eröffnet den neuen Longplayer mit der Van Halen-Anspielung „Hot for Preacher“, die erstmal alles mitbringt, was einen Alk3-Song für mich zu einem guten macht: Starkes Gitarrenriff, eingängiger Rhythmus, Ohohooo-Chöre a la Misfits und Matt Skibas unverkennbare düster-melancholische Reime. Die Gitarre allerdings klingt (wie schon der Titel) ungewohnt nach Hardrock …was sich durchs ganze Album ziehen wird. Und die Chöre scheinen auf längere Distanz abgenutzt und hundertmal gehört …und auch das wird leider zum Prinzip werden. Dennoch: Cooler Opener, passt. Das folgende „Meet me“ kommt dem bekannten Laut-Leise-Spiel entsprechend getragener daher, aber auch das kann Skiba. Keyboard und Effekte erinnern hier vage an Songs aus der „Crimson“-Zeit. Mit „Versions Of You“ (neben „Bad Time“ und dem Titeltrack eine der drei Vorab-Singles) übernimmt erstmals Dan Adriano die Leads.

„Dieser Song hatte von Anfang an eine rohe Energie, die wir nicht loslassen wollten. Ich spielte Gitarre, Matt schnappte sich den Bass und schuf diesen mörderischen, unzusammenhängenden Groove unter dem, was zur Strophe wurde. Es fühlte sich roh und wild an, und wir wussten, dass wir das einfangen mussten.“ erklärt Adriano. Er scheint für die Neuerungen auf dieser Veröffentlichung zuständig – tatsächlich eine sehr ungewöhnliche Alkaline Trio-Nummer, die mich aber leider nicht wirklich packt. Richtig in Fahrt scheint das Album mit der vierten Nummer kommen zu wollen: „Bad Time“ ist ein Brecher. Fettes Riff, treibende Drums und der so typische Skiba-Gesang mit seinen lakonisch-ironischen Lyrics – mal im Duell mit Gitarre und Bass, mal mit den markantesten Zeilen in deren Breaks. „‚Bad Time‘ wurde von einer Freundin inspiriert, die mich zufällig anrief, als ich auf Tournee in El Paso, Texas, war und sich direkt gegenüber unserer Unterkunft eine Schießerei ereignete.“, erinnert sich Skiba. „Wir konnten Schüsse und Sirenen hören, als die Situation eskalierte. Meine Freundin fragte, ob es ein schlechter Zeitpunkt zum Reden sei, und ich sagte Nein. – Natürlich war es eine schreckliche und furchterregende Situation, aber es gab einfach keinen schlechten Zeitpunkt, um ihre Stimme zu hören.“

Adrianos zweite Nummer „Scars“ überrascht anschließend zunächst als eine Art Offbeat-Popsong mit gefälliger Gesangsmelodie und stumpf einsetzenden Bass-Drums, um dann im Chorus doch für verzerrte Gitarren aufzumachen und sich anschließend in Gitarrengefrickel und Effektgewaber zu verlieren. Dan scheint sich auch hier viel vorgenommen zu haben, kann dem eigenen Anspruch aber nicht bis zum Schluß gerecht werden. Eingefangen wird die kleine Exkursion sofort von „Break“, einem weiteren Beleg dafür, wie beliebig Matt Skiba scheinbar all diese treibenden, verzweifelten und bittersüßen Punkseufzer aus dem Ärmel zu schütteln im Stande ist. Gleiches gilt für „Shake with me“, auch wenn das Lied, wie Meet me“ zuvor, viel ruhiger ausgelegt ist. Ein schöner Song, der leider nicht in einem dieser unvergleichlichen Choruse mündet. Der Titletrack „Blood, Hair and Eyeballs“ dürfte wohl der klassischste Alk3-Song dieses Releases sein. Eine Leadgitarre irgendwo zwischen „From Here To Infirmary“ (2001) und „Good Mourning“ (2003) und die so typische Rhythmusabteilung, die sich begleitend bis drängend im Hintergrund hält um Skibas Texten und Phrasierungen den nötigen Raum zu geben, damit diese letztendlich Melodie und Stimmung des gesamten Songs bestimmen. Nicht neu, nicht schlecht, aber auch nicht mehr. Nach dem völlig unnötigen Instrumental „Hinterlude“ folgt Dan Adrianos dritte Nummer: Auch „Broken Down In A Time Machine“ scheinen große Pläne vorausgegangen zu sein, entwickelt sich der Song doch zu einer recht theatralischen Rocknummer. Geht aber insgesamt klar und macht für mich vor „Versions Of You“ und „Scars“ das Rennen der drei Adriano-Songs. „Teenage Heart“ ist mit guten vier Minuten das längste Stück des Albums und in meinen Ohren kein typischer Closer. Hier hätte ich ich mich in der Tradition von „Sorry About That“ (Goddamnit, 1998), „Blue In The Face“ (Good Mourning, 2003) oder „Krystalline“ (Is This Thing Cursed?, 2018) tatsächlich über ein akustisches Stück gefreut. Alles in allem aber ein versöhnlicher Abschluss, bei dem vor allem das markante Wechselspiel der beiden Stimmen noch einmal zum Tragen kommt.

„Blood, Hair, and Eyeballs“ ist kein schlechtes Album. Dazu wissen die Herren Skiba, Adriano und Grant (der zum letzten Mal dabei gewesen sein wird, Teile wurden schon hier von Schlagzeug-Veteran Atom Willard von Against Me! und Rocket from the Crypt eingespielt) viel zu sehr, wie’s geht. Und dazu gibt es hier auch zu viele schöne Momente – „Hot for Preacher“, „Bad Time“ oder „Break“ könnten es in zukünftige Alkaline Trio-Playlists schaffen. Aber ein richtig gutes Album ist es leider auch nicht. Zu sehr kommen die Highlights dafür letztendlich doch aus dem Archiv und zu durchschaubar und zu holprig sind sie um Ausflüge in neue Terrains ergänzt. Da hilft auch die Produktion des Grammy-prämierten Cameron Webb nicht weiter – im Gegenteil.

Band: Alkaline Trio
Album: Blood, Hair and Eyeballs
VÖ: 26.01.2024
Label: Rise Records