Gewalt – Live in Bonn (01.04.2017)

„Auf einem Gewalt Konzert ist alles möglich. Nicht auszuschließen, das wir heute noch Koks von deiner Eichel schnupfen“, sagt der mir Unbekannte, von weit her angereiste Supporter von Patrick Wagners neuer Band. Dazu kam es nicht, dennoch wurde es ein intensiver Abend.
Patrick Wagner Superstar war lange aus meiner Wahrnehmung verschwunden, vergessen habe ich ihn nie. Surrogat, Kitty-Yo, Großmäuligkeit und ausgefuchste Selbstinszenierung machten ihn Ende der Neunziger zum wahrscheinlich meist geliebten und meist gehassten Indie-Schlauberger der Nation. Dabei kann ich behaupten, ich war, gelangweilt von Distelmeyer und Begemann, stets mit ihm. Weil das, was er tat, Substanz hatte, Ernsthaftigkeit und ein Übermaß an wütender Energie.
So finde ich mich betrunken und gespannt sehr zeitig im Bonner BLA ein, was kein Ding ist, der Laden liegt in meinem Viertel. Nicht wirklich regelmäßiger Besucher mag meine Einschätzung daneben, aber mir scheint das BLA bei Konzerten fest in der Gewalt von Laufpublikum, die Stammgäste erscheinen erst zu fortgeschrittener Uhrzeit, um sich in Gin und Astra zu wälzen. Das ist im Grunde egal, aber verwunderlich, weil das BLA mit großem Eifer die Live-Fahne hochhält, das sollte man würdigen. Aber manchmal ist Bonn halt auch ein unverständliches Kacknest.
Gewalt sind zu dritt, zwei Gitarren, ein Bass, die Industrial Beats aus der Konserve. Die klingen brachial und aus der Zeit gefallen, nicht im geringsten bemüht, modern oder real zu sein. Die frühen Nine Inch Nails, weil ein Vergleich her muss. Im weißen Licht kreisender Scheinwerfer betritt die Band die Bühne, das eingespielte Intro, eine einsame Bassdrum, viel zu lang und deshalb genau richtig, und schicken mich im Folgenden auf einen etwa einstündigen Trip aus Selbsthass, Verzweiflung, Wut und Wahn. Und Bier, aber das kaufe ich an der Theke.
Was man Patrick Wagner zugestehen muss ist ein sicheres Händchen für sloganhafte Texte zwischen Tiefgründig und Phrase, die eingebettet in noisy Gitarrenwänden mantraartige Wirkung entfalten. „Arbeit, Krankheit, Tod“ (aus „Pandora“). Alles ist Marketing, selbst wenn es in Flammen steht. Shouten kann er auch. Jedes Gewalt-Konzert ist das Beste, so auch heute. Destruktiver Lärm in Songstruktur zum Mitwippen, meilenweit entfernt von Punk oder flauschigem Indie – Gewalt sind mit ihrem hemmungslosem Pathos der richtige Gegenentwurf zu all jenen überflüssigen Konsensmusikern mit akustischen Gitarren und Schmalz in der Stimme. Und auf eine seltsame, schwer erklärbare Weise hat diese Musik etwas Reinigendes. Vielleicht wie eine Sprengung. Oder ein Kopfschuss.
„Herr Wagner, wo warst du denn die letzten Jahre?“ frage ich im Anschluss.
„Habe andere Sachen gemacht“, sagt Herr Wagner. Genügte mir als Antwort, geht mich ja auch nix an. Feuilleton, Lärm und große Geste, der Kreis ist geschlossen.
Gewalt – Pandora