The Thermals – We Disappear

Wegen mir.
Saddle Creek Records, das Label, welches Conor Oberst 1993 in Omaha (Nebraska) aus der Taufe hob, um die Tapes seiner Band Bright Eyes unter die Leute zu bringen, war mir neben Nikotin und Koffein über lange Jahre hinweg die liebste Sucht. Ob Maria Taylor, Lullaby For The Working Class, Azure Ray und natürlich Bright Eyes – so gut wie jede Veröffentlichung des Labels, das wie kein Zweites den Eindruck eines ländlich freundschaftlichen Künstlerkollektivs zu vermitteln vermochte, ein Gefühl von Aufbruchsstimmung und Familie, war ein Volltreffer.
Ein Kaff im Nirgendwo, bewohnt von jungen smarten Menschen, die i.d.R. großartigen Folk spielen, gemeinsam im Keller Alben produzieren und sich auch noch lieb haben, so mag ich mir den Himmel vorstellen. Ob das alles so den Tatsachen entsprach, habe ich nie überprüft. Spielte auch keine Rolle. Mit jedem Saddle Creek Release kaufte ich in einer Zeit, in der ich nirgends hingehörte, ein wohliges Gefühl in der Bauchgegend. Die heimeligen Zeiten sind jetzt schon eine Weile vorbei und längst hat eine neue Generation von Bands auf Saddle Creek Records das Zepter übernommen. Eine von denen sind The Thermals.
Das Trio aus Portland spielt auch auf seinem sechsten Album „We Disappear“ rauen Indie-Rock in klassischer Besetzung (Gesang, Gitarre, Bass, Schlagzeug). Im Kern poppige Songs, mit einer Menge Hauruck präsentiert, das ist das nur auf den ersten Blick simple Konzept der Band. The Thermals gelingt mit wirklich gutem, ohrwurmtauglichem Material der Flirt mit dem Punk, ohne sich dem völlig hinzugeben. Das Tempo bleibt in den zehn Songs auf „We Disapear“ gemäßigt, die Gitarre dominiert das Klangbild. Bass und Schlagzeug machen exakt das, was man bei dieser Art von Musik erwartet: stoische Beats, Achtelbässe, eine Menge Lärm und null Überraschung. Kann man so machen, lockt mich aber nicht hinter dem Ofen hervor.
Der Anspruch, eine gewisse Live-Atmosphäre auf ein Album zu transportieren, ist kein schlechter. Aber ein Trio, bereits durch seine Besetzung auf das wesentliche reduziert, ist gut beraten, das Studio mit all seinen Raffinessen als vierten Mann in eine Produktion zu integrieren. Muss ja nicht gleich so ein überkandidelter Quatsch sein wie Muse. Mir ist das jedenfalls so einfach nicht genug. Immerhin klingt „We Disappear“ trotz aller Lo-Fi Attitüde erstaunlich gut.
Den oft bemühten Vergleich mit Guided by Voices mag ich nicht bestätigen, diese Qualität im Songwriting haben The Thermals bis dato nicht erreicht. Vielleicht Buffalo Tom, Dinosaur Jr. oder die frühen Lemonheads, wenn eine Referenz her muss.
Video: The Thermals – „Hey You“